Mit westlicher Mentalität kann man verzweifeln
von Constanze Jantsch
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Bericht
Moskau/gc.
„Im Umziehen hast du ja schon Erfahrung.“ Dieser Satz stammt von meiner
Mutter und ich hätte ihn nicht besser auf den Punkt bringen können. Vor
meiner Ankunft in Moskau hatte ich das Angebot bei meiner Freundin zu
wohnen, die sich mit ihrer Schwester eine eigene Wohnung teilt. Ich
hatte ein gutes Gefühl bei der Sache und nahm an. Vor einer Woche erfuhr
ich von einer gemeinsamen Freundin per Telefon, dass ich bitte bis
Anfang nächsten Monat das Zimmer räumen soll.
Nicht, weil ich
unordentlich bin, nicht weil ich jeden Abend laute Partys feiere. Nein,
im November sind Feiertage und die Schwestern verreisen gemeinsam mit
ihren Eltern. Diese sind wiederum am Investment mit ihren Töchtern an
dieser Wohnung beteiligt und haben Sorge, mich alleine in ihren vier
Wänden zu lassen (tagsüber bin ich ab und zu übrigens auch mal alleine
hier).
Ich bin meiner Freundin sehr dankbar, dass ich hier wohnen
kann. Es war ausgemacht, dass ich einen Monat hier wohne und wir dann
sehen, ob das Vorhaben funktioniert. Dass ich nun wegen so einer
Eigenartigkeit die Wohnung verlassen soll, überrascht mich. Vor allem,
wer gibt jemandem ein Zimmer für eineinhalb Monate? Es bestätigt
(leider) was viele Ausländer hier sagen:?Verlass dich nie auf einen
Russen. Da hätten wir es ja.
Früher wäre meine komplette
(westliche) Welt zusammengebrochen, heute aktiviere ich mein neues
Ost-Gemüt und versuche, mich schnellstmöglich aus dieser verzwickten
Lage zu befreien. Jeder kann sich vorstellen, dass es angenehmere Dinge
gibt, als Wohnungsangebote im Internet zu durchforsten, WG-Zimmer
östlichen Standards in einer Metropole zu besichtigen und sein ganzes
Gerümpel auf ein Neues ein- und woanders wieder auszupacken (den
Gedanken des Kofferpackens schiebe ich lieber gleich ganz weit weg).
Irgendwas wird sich schon finden. Noch habe ich ein paar Tage Zeit. Und
Freunde gibt es ja auch noch, die mir helfen können. Das Umziehen hat ja
auch sein Gutes, denn so gibt es hier immerhin etwas Neues von der
Wohnungsfront des Planeten Moskau zu berichten.
Viel schlimmer
als die Tatsache, dass hier mein Auszug bevorsteht, ist die Art und
Weise wie ich von diesem erfahren habe. Ich kann verstehen, dass meine
Freundin Angst hat, mir mitzuteilen, dass ich gehen soll, weil sie es
vielleicht gar nicht will, sondern ihre Eltern. Aber eine Freundin
vorzuschicken?
So kann ein Sonntagmorgen doch beginnen, oder?
Diese Ereignisse sind jetzt genau eine Woche her. Freitagnacht (es ging
nicht früher, und außerdem ist immer schrecklicher Stau) bin ich im
strömenden Regen umgezogen. Mein von Kopfschmerzen geplagter Freund hat
mir mit einer Gemütsruhe geholfen meine 1000 Sachen zu verschiffen.
Als
ich am vergangenen Sonntagabend nach dem Unterrichten zu Hause eintraf,
war ich in freudiger Erwartung auf ein tiefgehendes Gespräch mit meinen
Mitbewohnerinnen. In der Küche traf ich auf Lena, die nach dem wohl
smallest talk ever fluchtartig den Raum verließ. Bisher wusste ich also
noch immer nur über Dritte, dass ich bis Ende des Monats ausziehen
sollte. Nach einer Stunde wagte ich den Angriff und traute mich ins
Wohnzimmer, wo die Zwei filmguckend auf der Couch lagen.
Ich
erklärte ihnen, was mir zu Ohren gekommen sei. Ohne auch nur den
überlauten Fernseher leiser zu stellen, die Liegeposition auf der Couch
zu ändern oder auch überhaupt nur eine Miene zu verziehen, wurde mir
mitgeteilt, dass ich am Telefon einer Fehlinformation aufgesessen sei
und statt knapper drei Wochen nur ganze 10 Tage hätte, um mir einen der
neun Bahnhöfe der Stadt als neues Heim auszusuchen (in Russland ist
Bahnhof das, was bei uns unter der Brücke ist).
Der Form halber
wurde ich gefragt, ob dies für mich machbar sei. Ein verstoertes „Ja“
entglitt mir und ich verließ den Raum. Zurück in dem noch Meinem sehnte
ich mich nach meinem Lieblingsvodka.
Am folgenden Tag stellte ich
ein Wohnungsgesuch ins Internet. Am selben Tag traute sich auch
Viktoria, die ältere der Schwestern zu mir. Sie erklärte mir, dass ihre
Schwester Angst hat, mit mir zu reden (Constanze, das Monster?) und
nicht der Urlaub der Grund meines Ab-/Auszuges ist, sondern der Einzug
der Mutter, der ein komfortables Zusammenleben für alle Beteiligten zu
einer kleinen Qual werden läßt. Mir war das mittlerweile völlig egal.
Ich beruhigte Viktoria und entließ sie ruhigen Gewissens aus meinem
Zimmer. Als ich am nächsten Tag nach der Resonanz auf meine Anzeige
schauen wollte, teilte mir der Internetanbieter mit, dass die Seite
geschlossen wurde und einer neuen Registrierung bedurfe. So was kann
dauern (nicht nur in Russland).
Durch die offenen Augen meiner
deutsche Freundin Anne, die ich aus früheren gemeinsamen Moskauer Zeiten
kenne, habe ich seit Freitag ein neues Heim. Und was für eines! Statt
im Spalnaja raion, was so viel heißt wie Schlafgebiet, wohne ich jetzt
im historischen Stadtzentrum. Mich gucken rot bemalte Backsteine an. Das
Gebäude ist ein Altbau, man kann die Atmosphäre in etwa mit Berlin,
Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, vergleichen. Hier müssen früher
Leute gewohnt haben, die einen engen Kontakt mit der oberen Klasse
hatten.
Es ist unglaublich. Ich laufe jetzt drei Minuten bis zur
Metro, mein Sushi ist 5 Minuten von mir entfernt. Es gibt (deutsche)
Mitbewohner, eine Reinigungskraft, die einmal in der Woche vorbeischaut,
und all dies zu einem wirklich fairen Preis. Ich bin jetzt sechsmal in
neun Monaten Moskau umgezogen, so langsam habe ich die Nase voll. Doch 6
und 9 macht exakt die Wohnungsnummer meines neuen Zuhauses. Irgendwie
passt dann am Ende doch alles zusammen ...
Constanze Jantsch
Constanze_Jantsch(at)web.de
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