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Sonntag, 18. Oktober 2009

Umzug im Regen

Mit westlicher Mentalität kann man verzweifeln
von Constanze Jantsch
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Bericht
Moskau/gc. „Im Umziehen hast du ja schon Erfahrung.“ Dieser Satz stammt von meiner Mutter und ich hätte ihn nicht besser auf den Punkt bringen können. Vor meiner Ankunft in Moskau hatte ich das Angebot bei meiner Freundin zu wohnen, die sich mit ihrer Schwester eine eigene Wohnung teilt. Ich hatte ein gutes Gefühl bei der Sache und nahm an. Vor einer Woche erfuhr ich von einer gemeinsamen Freundin per Telefon, dass ich bitte bis Anfang nächsten Monat das Zimmer räumen soll.

Nicht, weil ich unordentlich bin, nicht weil ich jeden Abend laute Partys feiere. Nein, im November sind Feiertage und die Schwestern verreisen gemeinsam mit ihren Eltern. Diese sind wiederum am Investment mit ihren Töchtern an dieser Wohnung beteiligt und haben Sorge, mich alleine in ihren vier Wänden zu lassen (tagsüber bin ich ab und zu übrigens auch mal alleine hier).

Ich bin meiner Freundin sehr dankbar, dass ich hier wohnen kann. Es war ausgemacht, dass ich einen Monat hier wohne und wir dann sehen, ob das Vorhaben funktioniert. Dass ich nun wegen so einer Eigenartigkeit die Wohnung verlassen soll, überrascht mich. Vor allem, wer gibt jemandem ein Zimmer für eineinhalb Monate? Es bestätigt (leider) was viele Ausländer hier sagen:?Verlass dich nie auf einen Russen. Da hätten wir es ja.

Früher wäre meine komplette (westliche) Welt zusammengebrochen, heute aktiviere ich mein neues Ost-Gemüt und versuche, mich schnellstmöglich aus dieser verzwickten Lage zu befreien. Jeder kann sich vorstellen, dass es angenehmere Dinge gibt, als Wohnungsangebote im Internet zu durchforsten, WG-Zimmer östlichen Standards in einer Metropole zu besichtigen und sein ganzes Gerümpel auf ein Neues ein- und woanders wieder auszupacken (den Gedanken des Kofferpackens schiebe ich lieber gleich ganz weit weg). Irgendwas wird sich schon finden. Noch habe ich ein paar Tage Zeit. Und Freunde gibt es ja auch noch, die mir helfen können. Das Umziehen hat ja auch sein Gutes, denn so gibt es hier immerhin etwas Neues von der Wohnungsfront des Planeten Moskau zu berichten.

Viel schlimmer als die Tatsache, dass hier mein Auszug bevorsteht, ist die Art und Weise wie ich von diesem erfahren habe. Ich kann verstehen, dass meine Freundin Angst hat, mir mitzuteilen, dass ich gehen soll, weil sie es vielleicht gar nicht will, sondern ihre Eltern. Aber eine Freundin vorzuschicken?

So kann ein Sonntagmorgen doch beginnen, oder? Diese Ereignisse sind jetzt genau eine Woche her. Freitagnacht (es ging nicht früher, und außerdem ist immer schrecklicher Stau) bin ich im strömenden Regen umgezogen. Mein von Kopfschmerzen geplagter Freund hat mir mit einer Gemütsruhe geholfen meine 1000 Sachen zu verschiffen.

Als ich am vergangenen Sonntagabend nach dem Unterrichten zu Hause eintraf, war ich in freudiger Erwartung auf ein tiefgehendes Gespräch mit meinen Mitbewohnerinnen. In der Küche traf ich auf Lena, die nach dem wohl smallest talk ever fluchtartig den Raum verließ. Bisher wusste ich also noch immer nur über Dritte, dass ich bis Ende des Monats ausziehen sollte. Nach einer Stunde wagte ich den Angriff und traute mich ins Wohnzimmer, wo die Zwei filmguckend auf der Couch lagen.

Ich erklärte ihnen, was mir zu Ohren gekommen sei. Ohne auch nur den überlauten Fernseher leiser zu stellen, die Liegeposition auf der Couch zu ändern oder auch überhaupt nur eine Miene zu verziehen, wurde mir mitgeteilt, dass ich am Telefon einer Fehlinformation aufgesessen sei und statt knapper drei Wochen nur ganze 10 Tage hätte, um mir einen der neun Bahnhöfe der Stadt als neues Heim auszusuchen (in Russland ist Bahnhof das, was bei uns unter der Brücke ist).

Der Form halber wurde ich gefragt, ob dies für mich  machbar sei. Ein verstoertes „Ja“ entglitt mir und ich verließ den Raum. Zurück in dem noch Meinem sehnte ich mich nach meinem Lieblingsvodka.

Am folgenden Tag stellte ich ein Wohnungsgesuch ins Internet. Am selben Tag traute sich auch Viktoria, die ältere der Schwestern zu mir. Sie erklärte mir, dass ihre Schwester Angst hat, mit mir zu reden (Constanze, das Monster?) und nicht der Urlaub der Grund meines Ab-/Auszuges ist, sondern der Einzug der Mutter, der ein komfortables Zusammenleben für alle Beteiligten zu einer kleinen Qual werden läßt. Mir war das mittlerweile völlig egal. Ich beruhigte Viktoria und entließ sie ruhigen Gewissens aus meinem Zimmer. Als ich am nächsten Tag nach der Resonanz auf meine Anzeige schauen wollte, teilte mir der Internetanbieter mit, dass die Seite geschlossen wurde und einer neuen Registrierung bedurfe. So was kann dauern (nicht nur in Russland).

Durch die offenen Augen meiner deutsche Freundin Anne, die ich aus früheren gemeinsamen Moskauer Zeiten kenne, habe ich seit Freitag ein neues Heim. Und was für eines! Statt im Spalnaja raion, was so viel heißt wie Schlafgebiet, wohne ich jetzt im historischen Stadtzentrum. Mich gucken rot bemalte Backsteine an. Das Gebäude ist ein Altbau, man kann die Atmosphäre in etwa mit Berlin, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, vergleichen. Hier müssen früher Leute gewohnt haben, die einen engen Kontakt mit der oberen Klasse hatten.

Es ist unglaublich. Ich laufe jetzt drei Minuten bis zur Metro, mein Sushi ist 5 Minuten von mir entfernt. Es gibt (deutsche) Mitbewohner, eine Reinigungskraft, die einmal in der Woche vorbeischaut, und all dies zu einem wirklich fairen Preis. Ich bin jetzt sechsmal in neun Monaten Moskau umgezogen, so langsam habe ich die Nase voll. Doch 6 und 9 macht exakt die Wohnungsnummer meines neuen Zuhauses. Irgendwie passt dann am Ende doch alles zusammen ...

Constanze Jantsch
Constanze_Jantsch(at)web.de
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