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Freitag, 10. Februar 2012

Syrien: Verfolgung Oppositioneller

Regierung missbraucht medizinische Einrichtungen
Redaktion: Ärzte ohne Grenzen
Dieser Beitrag kann in vollem Umfang kostenlos genutzt werden.
Pressemitteilung
Berlin/gc. Das syrische Regime geht gezielt gegen verwundete Demonstranten und gegen Mediziner vor, die die Opfer der Gewalt im Land behandeln.

Das geht aus Berichten hervor, die Ärzte ohne Grenzen gesammelt hat. Die Hilfsorganisation hat Aussagen von Ärzten in Syrien sowie von Verwundeten, die außerhalb Syriens medizinisch versorgt werden, in einem Bericht zusammengetragen, der in Paris vorgestellt wurde. Die Zeugnisse stammen von mehreren Personen aus verschiedenen Regionen Syriens und lassen auf gezielte Übergriffe auf die medizinische Versorgung Verwundeter schließen.

Ärzte ohne Grenzen kann derzeit nicht in Syrien selbst arbeiten, behandelt aber Flüchtlinge außerhalb des Landes und steht mit Ärzten in Syrien in Kontakt.

„In Syrien werden verwundete Patienten und Ärzte verfolgt. Sie sind in Gefahr, durch Sicherheitskräfte verhaftet und gefoltert zu werden“, erklärt Marie-Pierre Allié, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen in Frankreich. „Medizin wird als Mittel der Verfolgung eingesetzt.“

Die meisten Verwundeten berichten, dass sie aus Furcht vor Verhaftung und Folter keine öffentlichen Krankenhäuser aufsuchen. Falls doch, werden manchmal falsche Namen verwendet, um die Identität zu verschleiern. Ärzte stellen mitunter bewusst falsche Diagnosen, damit die Patienten den Sicherheitskräften entkommen, die gezielt nach Verwundungen suchen, die Demonstranten oft aufweisen.

„Es ist entscheidend, dass die syrischen Behörden die Neutralität der medizinischen Einrichtungen wieder herstellen“, sagt Marie-Pierre Allie. „Krankenhäuser müssen geschützte Bereiche sein, in denen verwundete Patienten ohne Diskriminierung behandelt werden, in denen sie sicher sind vor Übergriffen und Folter - und wo Ärzte und Pfleger nicht ihr Leben riskieren, wenn sie nach ihrem Berufskodex handeln.“

Die Verletzten geben an, größtenteils an geheim gehaltenen Orten behandelt zu werden. Auf diesem Wege versuchen Ärzte ihrer Verpflichtung nachzukommen, den Menschen medizinisch zu helfen. Improvisierte Kliniken sind etwa in Wohnungen und auf Bauernhöfen errichtet worden. Wohnräume wurden zu provisorischen Operationssälen umfunktioniert. In diesen als „mobile Krankenhäuser“ bekannten Einrichtungen sind die hygienischen Bedingungen und die Möglichkeiten, Instrumente zu sterilisieren, begrenzt. Die Vorräte an Narkosemitteln sind knapp. Dazu kommt, dass allein der Besitz von Medikamenten und einfachem medizinischem Material wie Mullbinden als ein Verbrechen angesehen wird.

„Die Sicherheitskräfte greifen die mobilen Kliniken an und zerstören sie“, sagte ein Arzt, der anonym bleiben will. „Sie dringen in Häuser ein und suchen nach Medikamenten und medizinischem Material.“

Sicherheit ist die Hauptsorge der Ärzte, die in den medizinischen Parallelstrukturen im Untergrund arbeiten. In dem herrschenden Klima des Terrors muss eine Behandlung schnell erfolgen, da Ärzte und Patienten ihren Aufenthaltsort ständig wechseln müssen, um nicht entdeckt zu werden.

„Wir werden ständig von den Sicherheitskräften verfolgt“, sagte ein anderer Arzt. „Viele Kollegen, die verwundete Patienten in ihren privaten Kliniken behandelt haben, wurden verhaftet und gefoltert.“

Es ist extrem schwierig, in den geheimen Einrichtungen größere Verletzungen zu behandeln und die postoperative Nachsorge sicherzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die im Verborgenen arbeitenden Helfer keinen Zugang zu Blutkonserven von der zentralen Blutbank haben, der einzigen Institution im Land, die Blutkonserven bereitstellt. Sie wird vom syrischen Verteidigungsministerium kontrolliert.

Nur wenige Verletzte haben es geschafft, in Nachbarländer zu fliehen, wo sie - allerdings verspätet - eine angemessene medizinische Versorgung erhalten.

„Ich war am Oberschenkel verletzt, und die Soldaten haben mich erwischt“, berichtete ein von Ärzte ohne Grenzen behandelter Patient. „Sie schlugen mir auf den Kopf und auf meine Wunde, aber ich habe es mit der Hilfe von Menschen in meiner Umgebung geschafft zu fliehen. Schließlich habe ich jemanden gefunden, der mich behandeln konnte - allerdings einen Krankenpfleger, keinen Arzt. Er hatte nicht einmal Betäubungsmittel.“

Unter den derzeitigen Umständen sind die Möglichkeiten von Ärzte ohne Grenzen, für die syrische Bevölkerung medizinische Hilfe zu leisten, stark eingeschränkt. Die Organisation hat monatelang erfolglos versucht, eine offizielle Genehmigung für die Behandlung von Verletzten in Syrien zu erhalten. Ärzte ohne Grenzen behandelt Patienten außerhalb Syriens und unterstützt durch die Lieferung von Medikamenten, medizinischem Material sowie Chirurgie- und Transfusionskits Netzwerke von Ärzten in Syrien.

Der Bericht „Syria: Medicine as a Weapon of Persecution“ kann auf der Seite http://msf.de/d4 heruntergeladen werden.

Weitere Informationen und Interviews:
Christiane Winje
Tel.: 030-700 130 240
Stefan Dold
Tel.: 030-700 130 230

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