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Donnerstag, 12. Juli 2012

Der Mut der Wenigen in der Diktatur

Buch zur politischen Verfolgung an Jenaer Uni
Redaktion: Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dieser Beitrag kann in vollem Umfang kostenlos genutzt werden.
Pressemitteilung
Jena/gc. Natürlich scheine auch in der Diktatur die Sonne, sagt Roland Jahn. Der einstige Jenaer Student und jetzige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen warnt jedoch davor, die Vergangenheit zu verklären. Ein Bekenntnis zur Biografie könne schmerzhaft sein, sagt Jahn.

Doch: „Ich möchte ermutigen, zur eigenen Biografie zu stehen und gleichzeitig die Biografien anderer zu hören und ernst zu nehmen.“ Jahns Aussagen stehen in einem Vorwort zu dem Band „Politische Verfolgung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1989“, den die Historiker Dr. Tobias Kaiser und Dr. Heinz Mestrup herausgegeben haben.

Tatsächlich habe es politisch motivierte Verfolgung an der Jenaer Universität seit deren Wiedereröffnung nach Kriegsende bis zum Zusammenbruch der DDR gegeben, konstatiert Tobias Kaiser. Doch müsse von Wellen der Verfolgung gesprochen werden, von Zyklen, die sich meist mit politischen Ereignissen und der politischen „Großwetterlage“ verbanden.

Am Beginn standen die Auseinandersetzungen mit sogenannten bürgerlichen Wissenschaftlern. Damals war der Weg der Hochschule hin zu einer „sozialistischen Universität“ längst noch nicht klar. Aber jeder, der dem Machtanspruch der SED zuwiderhandelte, war in Gefahr. Widerstand wurde nicht geduldet. Es drohten hohe Zuchthausstrafen, Deportation in die Sowjetunion, im schlimmsten Falle gar die Hinrichtung. „Doch in der Nachkriegszeit gab es immer noch den Ausweg, in den Westen zu gehen“, sagt Tobias Kaiser. Diesen Weg nahm 1958 sogar der Rektor Josef Hämel.

Eine Zäsur bildet deshalb der Mauerbau 1961: Nun hieß es, sich mit dem Regime zu arrangieren. Was nicht jedem gelang. Gerade jene, denen an einer Verbesserung des „real existierenden Sozialismus“ gelegen war, machten sich häufig angreifbar. Weitere Einschnitte kamen mit dem Prager Frühling 1968 und später der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Nun eckte an, wer Kritik oder Sympathie äußerte, auf seinem Recht auf freie Meinungsäußerung bestand. Dieses Recht bestand lediglich auf dem Papier – wehe denen, die es zu vehement einforderten. Viele wurden exmatrikuliert, mussten zur „Bewährung in die Produktion“. Lebensläufe wurden verbogen, Karrieren verhindert.

Das Buch entstand im Wesentlichen aus den Beiträgen der Tagung „Politische Verfolgung an der Universität Jena von 1945 bis 1989“, die im Herbst 2008 stattfand. Bei jener Tagung kamen Menschen zu Wort, von denen viele mit den Oberen in Konflikt gerieten, weil sie Verbesserungen einforderten. Andere, wie Roland Jahn, wurden zu Dissidenten gemacht, weil sie auf ihren Rechten beharrten. Jahn war als „Kabinenwähler“ aufgefallen, weil er – als Einziger – mit seinem Stimmzettel in die Wahlkabine gegangen war. Später wurde ihm sein Eintreten für Wolf Biermann zum Verhängnis. Er wurde exmatrikuliert und – nach mehreren Haftstrafen – in die BRD ausgebürgert.

„Über 100 solcher Biografien haben wir bislang ausfindig gemacht“, sagt Tobias Kaiser. Es sind oft beklemmend zu lesende Berichte, die von Ohnmacht und hilflosem Zorn künden. Eine Gesamtdarstellung stehe jedoch noch aus, denn wer in die Materie eintauche, der finde immer wieder neue Namen, so Kaiser.

Beim Lesen der Beiträge gewinnen Dinge an Bedeutung, die wir häufig mit dem Verlegenheitsbegriff „Werte“ belegen, schreibt Uni-Rektor Prof. Dr. Klaus Dicke in seinem Geleitwort. Darunter falle die Treue zur Wahrheit, der Wert kritischer Korrektive, der Wert furchtfreien öffentlichen Redens, der Wert mutigen Widerstehens. Begriffe, die uns heute als selbstverständlich erscheinen. Die Lektüre belegt, dass es durchaus nicht selbstverständlich war, diese Werte in der Zeit der Diktatur hochzuhalten, für sie einzustehen. Schon deshalb ist das Schicksal jedes Einzelnen der Protagonisten es wert, erinnert zu werden. Das neue Buch leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Bibliographische Angaben:
Tobias Kaiser und Heinz Mestrup (Hg.):
„Politische Verfolgung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1989“, Metropol Verlag Berlin 2012, 460 Seiten, 29,00 Euro, ISBN 978-3-86331-047-9

Kontakt:
Dr. Tobias Kaiser
Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien
Schiffbauerdamm 17
10117 Berlin
Tel.: 030-22792577
kaiser@kgparl.de

Dr. Heinz Mestrup
Bischöfliches Generalvikariat Münster, Bistumsarchiv
Georgskommende 19
48143 Münster
Tel.: 0251-495522
mestrup@bistum-muenster.de

Bildunterschrift:
Der Mut Weniger in der Diktatur wird in diesem Buch authentisch nachgezeichnet. Foto: Buchcover/FSU

Aussender:
Axel Burchardt M.A.
Leiter Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Pressesprecher der
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641-931031
axel.burchardt@uni-jena.de
www.uni-jena.de
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