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Donnerstag, 17. Januar 2013

Vor einem Jahr starb Chantal

Defizite im Kinderschutz
Redaktion: Deutsche Kinderhilfe e.V. 
Dieser Beitrag kann in vollem Umfang kostenlos genutzt werden. 
Pressemitteilung
Berlin/gc. Am ersten Todestag von Chantal, 16. Januar 2013, weist die Deutsche Kinderhilfe auf Defizite im Kinderschutz hin und fordert bundeseinheitliche Qualitätsstandards im Umgang mit drogenabhängigen und substituierten Eltern und Pflegeeltern sowie die dahingehende Überprüfung der Take-Home-Vergabepraxis.

Vor einem Jahr, 16. Januar 2012, starb Chantal bei einer Pflegefamilie an einer Methadonvergiftung. Während der tragische Fall zum Anlass genommen wurde, die Arbeit des Jugendamtes und das Pflegekinderwesen generell in Hamburg gründlich zu untersuchen, wurde die  eigentliche Todesursache von Chantal, eine Methadontablette ihres substituierten Pflegevaters, nicht ausreichend hinterfragt.

Die Vergabepraxis von Methadon, die im Rahmen der Substitution angebotene sogenannte Psychosoziale Betreuung wie auch die behördliche Haltung, in der Drogenabhängigkeit oder Substitution von Eltern und Pflegeeltern kein besonderes Risikopotential zu sehen, gehören auf den Prüfstand.

Nach Auffassung der Deutschen Kinderhilfe ist die Drogenabhängigkeit eines oder mehrerer Elternteile ein ernst zu nehmender Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung. Daher fordert die Organisation erneut die Einführung bundeseinheitlicher Qualitätsstandards im Umgang mit Kindern aus drogenbelasteten Haushalten und die Verzahnung des Gesundheitssystems mit der Kinder- und Jugendhilfe, auf die der Gesetzgeber beim BKiSchG bewusst verzichtet hat.

Ärzte sollen mit dem Jugendamt kooperieren, wenn ein Elternteil an einem Substitutionsprogramm teilnimmt oder eine Drogenabhängigkeit festgestellt wird. Insbesondere bei substituierten Eltern würde eine obligatorische Teilnahme an der Psychosozialen Betreuung im Rahmen des Substitutionsprogramms die Wahrung des Kindeswohls unterstützen – sinnvollerweise in enger Vernetzung mit dem zuständigen Jugendamt. Nur wenn eine engmaschige Betreuung der suchtmittelabhängigen Eltern erfolgt und durch regelmäßige Haaranalysen sichergestellt wird, dass Kinder nicht in Kontakt mit illegalen Substanzen kommen, ist ein Aufenthalt der Kinder in diesen Haushalten zu vertreten. Ferner gehört die Praxis der Take-Home-Vergabe bei im Haushalt lebenden Kindern auf den Prüfstand: Da das Ersatzpräparat Methadon hoch toxisch ist – eine Tablette führte bei Chantal zum Tod – darf die Herausgabe an Substituierte nur dann erfolgen, wenn keine Kinder im Haushalt leben.

Der Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe (GVS) setzt sich mit seinem Positionspapier dafür ein, dass folgende Minimal-Standards im Rahmen der Substitutionsbehandlung von Eltern oder werdenden Eltern mit Opiat- und polytoxikomaner Abhängigkeit flächendeckend umgesetzt werden:

- Deutliche Erhöhung der Standards der Beigebrauchskontrollen bei substituierten Eltern, die Verantwortung für Kinder ausüben.

- Take-Home-Vergabe nur dann, wenn keine Kinder im Haushalt leben oder nach Absprache mit dem Jugendamt.

- Überweisung aller substituierten Patientinnen und Patienten vom behandelnden Arzt an die zuständigen Beratungsstellen zur Ermittlung des psychosozialen Hilfebedarfs.

- Dokumentation des psychosozialen Hilfebedarfs von den beauftragten Suchtberatungsstellen nach zweckmäßigen (und einheitlichen) Standards.

- Innerhalb der Beratung muss dem Kinderschutz Rechnung getragen werden, indem die Versorgungs- bzw. Erziehungsfähigkeit von Kindern in verbindlicher Zusammenarbeit mit dem örtlichen Jugendamt festgestellt wird. Bei festgestellten Mängeln sind geeignete Jugendhilfemaßnahmen vorzusehen.

In Hamburg, Bremen und Köln wurden – auf Anweisung von Jugendämtern – stichpunktartig Haaranalysen bei Kindern aus Drogenhaushalten durchgeführt. In der Mehrzahl der Fälle wurden Rückstände von illegalen Drogen aber auch Ersatzmedikamenten wie Methadon gefunden.

Zur Frage wie illegale Drogen und Substitutionsmittel in Kontakt mit Kindern geraten, wird flächendeckend geschwiegen. Eine Ursache ist darin zu sehen, dass die Vergabepraxis von Substitutionsmitteln vielerorts zu lasch gehandhabt wird und strengerer Vorgaben bedarf.

Es handelt sich um ein bundesweites Problem: Nach Angaben der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht haben 30.000 bis 60.000 Kinder drogenabhängige Eltern, die Dunkelziffer ist weitaus größer.

Die Deutsche Kinderhilfe wird im Frühjahr 2013 eine bundesweite Befragung zum behördlichen Umgang mit Kindern aus suchtbelasteten Familien durchführen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren.

Im Norden und Süden Deutschlands tut sich bereits etwas: Auf Nachfrage eines Münchner Stadtrats – bei 122 getesteten Kindern hatten 97 Spuren von Drogen im Haar – räumte auch das Rathaus einen Handlungsbedarf ein. Über einen entsprechenden Antrag des Stadtrats, für Kinder mit drogenabhängigen Eltern jährliche Haartests durchzuführen, wird bereits im Frühjahr abgestimmt. 

Diese Entscheidung könnte bahnbrechend sein. Hamburg arbeitet gerade an der Verbesserung der Frühen Hilfen für Familien und hat nun die Gelegenheit, den Schutz von Kindern suchtmittelabhängiger Eltern zu gewährleisten. In Bremen sind Haartests für Kinder bereits verpflichtend.

Pressekontakt:
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Vorstandssprecherin
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