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Montag, 24. Juni 2013

Klarheit, wenn das Wasser weg ist

Mit Landrat  Rolf Christiansen im Gespräch
von Heiko Wruck
INTERVIEW
Parchim/gc. Die Hochwasserkatastrophe ist in Mecklenburg zwar nicht eingetreten. Geld kostet das höchste je in diesem Elbeabschnitt erlebte Sommerhochwasser dennoch.


Wie viele Kräfte waren im Einsatz und wie hoch waren die höchten Pegelstände?
In den Spitzen der Hochwasserabwehr waren im Landkreis über 3.500 Kräfte im Einsatz. Davon mehr als 1.000 Feuerwehrleute aus den Landkreisen Ludwigslust-Parchim und Nordwestmecklenburg sowie aus Schwerin, mehr 1.500 Bundeswehrsoldaten aus Hagenow, Sanitz, Bad Sülze, Neubrandenburg, Warnemünde, Minden und weiteren Standorten, mehr als 500 THW-ler aus ganz MV, mehr als 200 Helfer von DRK, ASB, Malteser und Johanniter sowie über 100 Mitarbeiter der örtlichen Stäbe und des Katastrophenabwehrstabes des Landkreises und viele, viele weitere Freiwillig. Ihnen allen ist es zu verdanken, dass es nicht zu einer Hochwasserkatastophe kam. Innerhalb der ersten drei Tage des Katastrophenalarms haben Feuerwehrleute, Bundeswehrsoldaten, zivile Helfer eine Million Sandsäcke gefüllt. Unmittelbar an der Elbe wurden etwa 800.000 Sandsäcke verbaut, an der Müritz-Edle-Wasserstraße 400.000 Sandsäcke. Beim Jahrhunderthochwasser 2002 lag der höchste Pegelstand bei 6,90 Metern. In Dömitz wurden aktuell  7,21 und in Boizenburg 7,32 Meter gemessen. Der Deichbruch bei Fischbeck in Sachsen-Anhalt und die Flutung der Havel-Polder in Brandenburg haben uns jeweils eine Entlastung von zuerst rund 40 und dann nochmal von 30 Zentimentern gebracht. Hätten die Dämme dort gehalten oder wäre die Flutung nicht vorgenommen worden, müssten wir diese etwa 70 Zentimeter auf unsere eigenen Pegelstände aufrechnen. Dann wären auch unsere Deiche überschwemmt worden, die eine Bauhöhe von zirka 7,80 Meter haben. Seit 1991 wurden rund 96 Millionen Euro in das Hochwasserschutzsystem Elbe und deren Rückstaugebiete investiert. Die Deiche immer höher zu bauen, wird keine Lösung bringen.

Welche Alternativen gibt es?
Die Elbe, aber auch die anderen Flüsse, brauchen wieder mehr Fläche. Je enger sie eingezwängt werden und je gerader sie kanalisiert werden, umso schneller wird die Fließgeschwindigkeit und umso schneller steigen die Pegel auf immer neue Höchstwerte. Hochwasserschutz ist derzeit Ländersache, aber eigentlich müsste es eine Bundesaufgabe sein. Bisher ist es so, dass auf Landes-, Kreis- und letztlich Gemeindeebene über Bebauungsgebiete entschieden wird, die sich in Hochwassergebieten an den vor vielen Jahren ermittelten Bemessungspegeln orientieren. Diese Vorschriften sind zu Teil über 30 Jahre alt und von Land zu Land verschieden. So haben zwar die Elbeanrainer in Deutschland Deichbauhöhen für ein Bemessungshochwasser von 6,80 Metern beschlossen, aber Brandenburg hat dann doch stellenweise höher als vereinbart gebaut. Und diese Maßnahme kommt natürlich als neuer Pegel auch in Mecklenburg an. Das zu verhandeln, ist nicht immer leicht. Schwer ist es auch, den Flüssen alte Überschwemmungsgebiete zurückzugeben oder neue frei zu machen. Das stößt auf Widerstände, wenn sich Unternehmen ansiedeln wollen oder Häuslebauer sich dort ansiedeln möchten.

Also zahlen immer Bund und Länder die Zeche?
Auch Mecklenburg-Vorpommern hat in den Hochwasserfonds eingezahlt und wird auch daraus Mittel erhalten, um schlimme persönliche Notlagen, Umweltschäden, Kosten und so weiter aufzufangen. Letztlich wird es aber in Zukunft auch darauf hinauslaufen, dass die persönliche Verantwortung stärker zum Tragen kommen wird. Es kann nicht sein, dass die bewusste Inkaufnahme von Hochwasserrisiken für den eigenen Unternehmens- oder Wohn­standort im Schadensfall auf die Gemeinschaft abgewälzt wird. Hierbei geht es natürlich um neue Bauten und Ansiedlungen. Altes hat Bestandsschutz. Aber auch dort muss über zukunftsfähige Lösungen nachgedacht werden.

Wie sehen die Schäden in Mecklenburg aus?
Wenn das Wasser gewichen und die Überschwemmungsbegiebte wieder gefahrlos betretbar und befahrbar sind, wird der zurückbleibende Schlamm gezielt auf Toxine und Schadstoffe überprüft. Um alle Schäden aufzulisten und diese zu beseitigen, werden wir noch drei bis sechs Monate brauchen. Grobe Schätzungen lassen allein die Einsatzkosten mit einem Volumen von zirka 2,5 Millionen Euro erwarten. Wie gesagt, es sind nur ganz grobe Schätzungen. Dazu kommen dann nochmal die Kosten, die für die Schadensregulierung und die die Wiederherstellung des Normalzustandes gebraucht werden. Hier kann ich noch keine Schätzungen abgeben. 

Gibt es jetzt schon gravierende Gefahren, die durch das Hochwasser verursacht wurden?
Nein, bisher haben wir noch keine Gefahrenlage. Unser Trinkwassersystem ist vom Hochwasser nicht beeinträchtigt worden, aber es laufen natürlich ständig Überprüfungen. Die Brunnen, die außerhalb der öffentlichen Trinkwasserversorgung stehen, werden gezielt beobachtet und kontrolliert. Aber auch hier haben wir bisher noch keine Gefahren gemeldet bekommen.

Welche Schäden sind denn überhaupt entstanden?
Es gab kleinere Straßenunterspülungen. Auch Brücken und einige Privatgrundstücke sind überspült worden. Aber diese Schäden halten sich sehr in Grenzen. Das ganze Ausmaß werden wir allerdings erst sehen, wenn das Wasser wieder verschwunden ist.

Bildunterschrift:
Vom Hochwasser 2013 überspülte Werft in Boizenburg: Der Deichbruch in Fischbeck und die Flutung des Havel-Polders haben Mecklenburg vor der Katastrophe bewahrt. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko@wruck.org
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