Suchen

Sonntag, 30. März 2014

Land verstößt gegen eigene Interessen

Menschen werden abgehängt, Güter nicht
von Heiko Wruck
BERICHT
Parchim/gc. Bahnhof Parchim, Montagfrüh, 6.30 Uhr: 19 abgestellte Fahrräder und 20 geparkte Pkw stehen auf dem Bahnhofsgelände. Spuren des allmorgentlichen Berufsverkehrs in Richtung Lübz. Weniger Minuten später, ein Zug aus Richtung Lübz kommt rein. Zirka 30 Leute steigen in Parchim aus. Viele Jugendliche darunter. Einige der Passagiere schwingen sich aufs Rad und fahren in Richtung Stadtzentrum davon. Eine junge Frau mit Kinderwagen steigt in den Zug. Diese Bilder sollen bald der Vergangenheit angehören. 

Das Land will den Streckenabschnitt zwischen Parchim und Malchow stilllegen. „... aber nur für die Menschen. Der Güterverkehr soll auf der Strecke erhalten bleiben“, sagt die Lübzer Bürgermeisterin Gudrun Stein. Auch ihre Stadt soll vom Schienennetz abgehängt und Parchim zu einem Kopfbahnhof ohne weiteren Anschluss in Richtung Neustrelitz umgestaltet werden. Busse sollen künftig den Schienenersatzverkehr leisten.

Erstaunlich daran ist, dass ausgerechnet jener Streckenteil stillgelegt werden soll, der laut Gutachten als Teil der Gesamtstrecke zwischen Hagenow und Lübz die meisten Personen befördert. Für die Verbindung Parchim – Lübz gibt das Planungsgutachten 530 Tagesfahrgäste an. 

Die Landkreise Mecklenburg-Strelitz und Ludwigslust-Parchim sind nun aufgefordert, Konzepte zu entwickeln. Rund 10,5 Millionen Euro pro Jahr steckt das Land in diesen Bahnabschnitt. Ein Buseinsatz würde deutlich weniger kosten. Etwa 3 Millionen Euro will das Land durch die Ausgrenzung der Menschen vom Schienennahverkehr einsparen. Gepäck, Fahrräder, Kinderwagen, Rollstühle, Kinder und Hunde sind jedoch im Bus deutlich schwerer mitzuführen. Entsprechend geringer erwarten die Gegner der Stilllegungspläne das Fahrgastaufkommen für die Busse.

„Der Lochfraß am Schienennetz ist nur der Anfang“, ist sich Gudrun Stein sicher. Und sie steht mit dieser Meinung nicht allein da. Die Kreistage der Landkreise Mecklenburgische Seenplatte und Ludwigslust-Parchim sowie die Städte Waren, Malchow, Hagenow, Lübz, Neustrelitz und Parchim haben sich klar gegen die Stilllegungspläne des Landes ausgesprochen. Hinzu kommen weitere Bürgerinitiativen und Vereinigungen – die alle vom Land unberücksichtigt blieben. Aufstecken wollen die Befürworter der Südbahn dennoch nicht. Immerhin haben die Malchower sich ihren Bahn-Wiederanschluss an Waren hart erkämpft. Gleiches will man auch für die Strecke Parchim – Lübz ­ – Malchow.

Busse bringen die Menschen zu den Bahnhöfen oder von den Bahnhöfen zurück in die Orte. Aber sie ersetzen kein weitläufiges Schienennetz. Tatsache ist, dass die Stilllegungspläne sowohl den vereinbarten Zielen des seit 2011 gültigen Landesentwicklungsprogrammes als auch den Regionalen Entwicklungsprogrammen entgegenstehen. Im Regionalen Entwicklungsprogramm Westmecklenburg war 2011 unter Punkt 6 vereinbart worden, dass unter anderem die Strecke Ludwigslust – Neustadt-Glewe – Parchim – Lübz – Waren „vorrangig ertüchtigt werden“ soll. Zur Begründung heißt es: „Durch die weitere Ertüchtigung ... soll der ÖPV gegenüber dem Individualverkehr konkurrenzfähiger werden und die Zentralen Orte untereinander mit dem Oberzentrum Schwerin sowie mit den Tourismusräumen besser verbinden.“

Eventuell gibt es eine späte Erkenntnis. Wie in Niedersachsen. Dort will das Land alte, mit viel Aufwand stillgelegte Bahnstrecken reaktivieren, um mit „wirtschaftlicher Vernunft“ den Schienenpersonennahverkehr wieder in die Fläche auszuweiten. Wenn Mecklenburg-Vorpommern dem Beispiel folgt, kommt vielleicht auch das aus Vernunftsgründen in den 1990er Jahren abgehängte Plau am See, eine Touristenhochburg im Binnenland, wieder ans Schienennetz –  für mehr als 3 Millionen Euro pro Jahr – wenn es Leute gibt, die freiwillig an der alten Strecke wohnen und Touristen, die das sehen wollen.

Bildunterschrift:
Die Lübzer Bürgermeisterin Gudrun Stein sieht in der geplanten Stilllegung der Bahnstrecke zwischen Parchim und Malchow einen gravierenden Einschnitt in das Leben der Menschen. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko@wruck.org
________________________________________________