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Dienstag, 22. April 2014

Das Beil von Wandsbek

Wie Wittenburg zu Stolpersteinen kam
von Heiko Wruck
BERICHT
Wölzow/gc. Seit dem 8. März ehrt die Stadt Wittenburg mit dem öffentlichen Gedenken und zwei Stolpersteinen die Geschwister Martha und Max Lazarus. Als Juden wurden die beiden Wittenburger im III. Reich von ihren Mitbürgern geächtet. Martha wurde 1939 in den Tod getrieben, Max deportiert und 1941 in Minsk umgebracht.  Gerd Wendt (45) war die treibende Kraft, die letztlich zu dieser dauernden öffentlichen Ehrung geführt hat – aus ganz familiären Gründen.

„Meine Oma erzählte oft eine sentimentale Geschichte von Opa Emil. ,Die haben den Opa in Ketten gelegt und einfach verhungern lassen’, sagte sie. Opa Emil war ihr Schwiegervater und aktiver Anti-Faschist.“

Am 17. Juli 1932 wollte die SA einen Werbemarsch durch Altona führen. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in deren Folge  zwei SA-Leute und 16 Protestierer starben. Drei Tage später wurde der Altonaer Blutsonntag als Vorwand dafür benutzt, die zwar bereits zurückgetretene, jedoch noch geschäftsführende preußische Minderheitsregierung abzusetzen und die demokratische Verfassung in Preußen abzuschaffen. Im auf den Altonaer Blutsonntag folgenden Prozess vom 8. Mai bis zum 2. Juni 1933 wurden vier Angeklagte zum Tode verurteilt und am 1. August 1933 durch das Handbeil hingerichtet. Es waren die ersten politisch gewollten Hinrichtungen im III. Reich.

Der Schriftsteller Arnold Zweig veröffentlichte 1943 seinen Roman „Das Beil von Wandsbek“, dessen Grundlage der Altonaer Blutsonntag ist. Falk Harnack verfilmte den Roman 1951 unter gleichem Titel und schuf damit den ersten DEFA-Film mit Aufführungsverbot.

Emil Theodor Hans Wend, Opa Emil, wurde im Zuge der Blutsonntags-Prozesse zu 10 Jahren Haft verurteilt, später ins Zuchthaus Waldheim in Sachsen gebracht und dort am 26. Oktober 1944 ermordet. „Immer wenn ich was über Opa Emil wissen wollte, hüllte sich meine Familie in Schweigen. Über ihn wurde einfach nicht gesprochen. Er war das ,Schmuddelkind’ der Familie, der Knastbruder“, erinnert sich Gerd Wendt. 

Opa Emil weckte sein Interesse und führte ihn in eine jahrelange Recherche. Es gelang es ihm, nicht nur den ermordeten Urgroßvater in  seiner Familie zu rehabilitieren, sondern ihm auch öffentliche Ehrung zuteil werden zu lassen. Emil Theodor Hans Wendt liegt heute im Ehrenhain für Hamburger Widerstandskämpfer in Ohlsdorf bei seinen rehabilitierten Genossen und hat einen eigenen Stolperstein als Opfer des Nazi-Regimes.

„Im Zuge der Recherchen zu meinem Urgroßvater bin ich auf unendlich viele Vorurteile, auf eine Mauer des Schweigens und der falschen Scham gestoßen. Das hat mich sensibilisiert“, sagt Gerd Wendt. 1992 hatte der Hamburger seine spätere Ehefrau Dörte kennen gelernt, 1995 geheiratet und war zu ihr nach Wölzow bei Wittenburg gezogen.

In Hagenow stieß er in der Synagoge auf die Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg und fragte sich, ob sich solche Spuren auch in Wittenburg fänden. Er begann seine Recherchen und stieß nicht nur auf den weitgehend unbekannten jüdischen Friedhof in der Lehsener Chaussee, sondern auch auf das Schicksal der Geschwister Lazarus. Sein Antrag, Stolpersteine für die beiden ermordeten jüdischen Mitbrüger zu setzen, wurde von der Wittenburger Stadtvertretung unterstützt. Im Ausschuss Schule, Sport, Soziales und Kultur wurde ein Schülerprojekt mit dem Wittenburger Gymnasium beschlossen.

„Dass dieser Teil unserer Geschichte noch immer polarisiert, habe ich selbst erfahren. Während die Stadtvertreter, viele Bürger und die Schüler sich aktiv an der Aufarbeitung der Wittenburger Ereignisse um die Geschwister Lazarus beteiligten, gibt es andere, die Angst schüren und das Thema verdrängen wollen. Eine Tages drohte man mir am Telefon: ,Hör auf, in unserer Vergangenheit zu graben. Das geht dich nichts an. Du bist kein Wittenburger. Wir haben keine Juden hier.’“ Gerd Wendt lässt sich davon nicht beeindrucken. „Ich werde weitermachen, es sind bereits neue Schülerprojekte geplant.“

Bildunterschrift:
Gerd Wendt ist der Initiator der beiden Wittenburger Stolpersteine und wurde dafür bereits am Telefon bedroht. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
Heiko@Wruck.org
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