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Mittwoch, 20. August 2014

Wandel durch Annäherung

Russland-Sanktionen - Messer am eigenen Hals
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Moraas/gc. Die Spannungen zwischen Europa und Russland erhitzen nicht nur die Gemüter, sondern haben auch konkrete politische sowie wirtschaftliche Folgen. Der Hagenower Unternehmer Hans-Joachim Schulte war über zwei Jahrzehnte in Russland aktiv und erklärt im Gespräch zum Ukraine-Konflikt seine Sicht.

Wann, wo und womit haben Sie sich in Russland engagiert?
„Von 1990 bis 2011 habe ich Maschinen und Anlagen im Bereich Lebensmitteltechnik nach Osteuropa geliefert und auch die Ausbildung der Mitarbeiter dafür geleistet. Wir hatten Büros in Russland, Weißrussland, dem Baltikum, in Kasachstan und in der Ukraine.“

Wegen der Krim-Krise ließ Bundeswirtschaftsminister Gabriel das Russlandgeschäft des Rüstungskonzerns Rheinmetall platzen. War das richtig?
„Nein! Verträge müssen immer und ausnahmslos eingehalten werden. Wer das missachtet, ist nicht vertrauenswürdig. Verbote sind, wenn überhaupt, in der Zukunft möglich. Ich bin zwar nicht für Rüstungsgeschäfte, aber trotzdem ist das Vertragsbruch, also strafwürdig. Man stelle sich vor, Russland würde Europa im Winter kein Gas und keine Steinkohle liefern. Wir bekämen schnell kalte Füße, und wieder wäre der  böse Russe schuld. Was gebraucht wird, sind Handel, Vertragssicherheit und politische Gespräche.“

Für Mecklenburg-Vorpommerns Russlandtag am 10. September 2014 liegen über 200 Anmeldungen vor. 
„Offensichtlich gibt es noch eine Menge vernünftiger Leute auf beiden Seiten, die miteinander reden wollen.“

... vor dem Hintergrund der Konflikte und Sanktionen?
„Die meisten Leute, die Russland nicht kennen, verbinden mit Russland sehr negative Klischees: Saufen, Nutten, Mafia, Korruption und Demokratiemangel. Das ist zu einem großen  Teil Propaganda. Diese Stammtischparolen entsprechen einem regelrechten Feindbild. Tatsache ist jedoch, dass auch die russische Gesellschaft in der überwiegenden Mehrheit aus ganz normalen, anständigen, friedlichen Leuten besteht. So wie in Deutschland auch. In den über 20 Jahren habe ich in Russland viele gute Geschäfte gemacht, Freundschaften geschlossen, und ich habe immer mein Geld bekommen. Das setzt vor­aus, dass man sich konsequent an Vereinbarungen hält.“

Der Zweck heiligt also jedes Mittel?
„Propaganda, Konfrontation, Polarisierung und Vertragsbruch machen jeden Zweck zunichte. Wer wäre in Deutschland bereit eine Wohnung zu mieten, ein Auto oder ein Haus zu kaufen, müsste er damit rechnen, dass schon morgen nichts mehr gilt, was heute vereinbart wird. Die Aufgabe der Politik ist es, Probleme zu lösen und nicht, welche zu schaffen. Da wird verkündet, Europa hätte den russischen Banken verboten, mit europäischen Banken Geschäfte zu machen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Europa kann den russischen Banken gar nichts verbieten. Den europäischen Banken wurde verboten, Geschäfte mit russischen zu machen. Russland hat im Gegenzug europäische Agrarimporte sanktioniert.“

Welche Folgen und welche Entwicklung sehen Sie?
„Als Folge wird Russland versuchen, nicht mehr mit Europa seinen Handel zu forcieren. Das jüngste Gas-Geschäft mit China geht in diese Richtung. Europa wird seinen wichtigtsen Handelpartner verlieren: Agrar, Rohstoffe und Entwicklung. In den letzten Jahren war es so, dass zum Beispiel die Europäische Union subventioniertes Schweinefleisch nach Russland für 80 Cent pro Kilo exportiert hat. Für 80 Cent kann niemand irgendwo eine solche Produktion aufbauen und betreiben – auch in Russland nicht. Das wird anders werden, nicht nur beim Schweinefleisch. Der Versuch, auf Russland Druck auszuüben, wird scheitern und sich ins Gegenteil verkehren. Europa wird für Russland an Bedeutung verlieren. Da gibt es die BRIC-Staaten, zu denen auch Russland zählt. Es gibt den euro-asiatischen Raum, in dem Russland an zentraler Stelle liegt. Und es gibt Afrika, das ganz bestimmt neben den USA, den Europäern und Chinesen auch für die Russen interessant ist.“

Konflikte wie die Krim-Krise oder der Krieg in der Ost-Ukraine sind demnach Nebensache, solange die Wirtschaft brummt?
„Nebensache sind sie ganz sicher nicht, denn dort in der Ukraine leiden Menschen. Die Probleme werden jedoch ganz bestimmt nicht mit Kriegsrhetorik und Handelsbeschränkungen gelöst. Handel bedeutet auch immer Kulturaustausch, Konsum und Wohlstandsstreben. Das haben schon Politiker wie Egon Bahr und Willy Brandt gegen viele Widerstände mit ihrer Neuen Ostpolitik umgesetzt. Verständigungsbereitschaft, Ausgleich und Wandel durch Annäherung waren deren Eckpfeiler. Ich verstehe die Haltung der Bundesregierung und der Europäischen Union überhaupt nicht. Wem nützt das alles? Putin hatte 2010 Merkel eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok vorgeschlagen. Davon sind wir ganz weit weg. Einzig die USA profitieren davon, wenn Europa und Russland nicht zusammenarbeiten. Die jetzige Haltung Europas und Deutschlands wird das Problem verschlimmern. Ich bin maßlos enttäuscht, dass unsere Politiker so kurzfristig denken. Unabhängig davon wird die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland, Kasachstan und Weißrussland immer konkreter. Bis 2015 soll aus dieser Zollunion eine Wirtschaftsunion werden – mit oder ohne EU.“

Bildunterschrift:
Russland-Kenner aus Hagenow, Hans-Joachim Schulte: Russen sind stolz und Patrioten. Diesen Umgang lassen sie sich nicht gefallen. Überall auf der Welt wirst du daran gemessen, ob du deine Verträge einhältst, zu deinem Wort stehst. Deutschland ist vertragsbrüchig. Bundeswirtschaftsminister Gabriel betreibt platte Politik. Er greift einfach in das Steuersäckel, nimmt also unser Geld, um den Vertragsbruch gegenüber dem Wähler zu legitimieren. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
Heiko@Wruck.org
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