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Mittwoch, 22. April 2015

Nur zwei Eier und ein Minz-Tee

... zum Frühstück als Start ins Ehrenamt
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Schwerin/gc. Das ist aber ein kleines Frühstück.
So oppulent muss es nicht sein. Kaffee ist nicht mein Ding. Brot und Brötchten brauche ich da nicht. Mittags gibt‘s ja was Handfestes.

Das reicht für den Tagesstart?
Ich bin Erwerbsunfähigkeitsrentner. Der Vormittag gehört den Ärzten, Behörden, dem Haushalt, der Familie. Als Alleinlebender kümmere ich mich um meinen Sohn. Er lebt bei mir, ist 26 und hat gesundheitliche Beeinträchtigungen. Unterstützung habe ich sehr von meiner Mutter. Die beiden sind die wichtigtsten Menschen für mich. Mutter ist Rentnerin, mein Sohn arbeitet in den Dreescher Werkstätten. Ich bin auf beide wirklich sehr stolz. Mein ,Arbeitstag‘ beginnt manchmal um 11 Uhr, meistens aber um 14 Uhr.
Welche Arbeit ist das?
Mein gesellschaftlicher Dreh- und Angelpunkt ist in Schwerin die Projektwerkstatt „Buntes Q“, Lübecker Straße 180 (www.buntes-q-schwerin.de). Hier arbeite ich ehrenamtlich. Ich bin Organisator, Gruppenbetreuer, gebe als Mathetoddy honorarfreie Nachhilfe für Schüler von der 8. bis zur 10. Klasse. Ich helfe als Hausmeister, Handwerker und als Mann für alle Fälle. Das Bunte Q ist eine soziale Einrichtung, die ohne Hilfe der Stadt auskommt. Dort werden Bildungs-, Politik- und Kulturveranstaltungen angeboten.
Was läuft da so?
... Nachhilfe, Kino, Gesprächskreise, Lesungen, Aktionen ...
Was für Aktionen?
Im April haben wir mit der neuen Initiative ,Schwerin für alle‘ die Aktion ,Stoppt Rassismus – Flüchtlinge willkommen‘  verschiedene Initiativgruppen in die Öffentlichkeit gebracht, um auf den Umgang mit Flüchtlingen und Ausländern aufmerksam zu machen.
Das wird doch schon überall durchgehechelt.
Es geht um mehr, als sich zu empören, Geld und Unterschriften zu sammeln. Hilfe für Flüchtlinge und Ausländer braucht Konkretes. Deutsche und Ausländer brauchen eine gemeinsame Stätte, um sich kennen zu lernen, zu helfen, austauschen, um gemeinsam was zu machen.
Wozu das alles?
Meine Rente ist ein bedingungsloses Einkommen. So kann ich der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Es gibt viele soziale Brennpunkte, die große Sprengkraft haben. Das wird sich verstärken. Technologischer Fortschritt und Überalterung werden immer weniger Menschen am Erwerbsleben teilhaben lassen. Ihre Einkommen sinken. Zweit- und Drittjobs, Lohnaufstocker, die Tafeln und Altersarmut sind deutlich Zeichen. Die Mitte der Gesellschaft zerfasert. Es folgt eine immer stärkere Spaltung in Arme und Reiche. Arme geraten ins Abseits und haben kaum Chancen auf einen sozialen Aufstieg. Das ist schon heute ein Massenphänomen, wird aber ignoriert. Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Empfänger werden diskriminiert, Lohnarbeit lohnt in den unteren Chargen heute kaum die Arbeit. Zum Schluss stellt man fest, dass Autos keine Autos kaufen.
... der Weltuntergang?
Nein. Ich frage, in welcher Welt wollen wir morgen leben?  Früher hieß es mal: Alles, was Arbeit schafft, ist sozial. Angesichts auseinanderbrechender Sozialsysteme stimmt dieses Credo nicht mehr.
Welches Credo bietet sich an?
Vielleicht kann es dieses sein: Was haben andere Menschen, die du nicht kennst, davon, dass es dich gibt?

Who is who?
Vision:
Setzt sich ein für ein bedingungsloses Grundeinkommen, für freiwilliges, gemeinnütziges und soziales Gesellschafts-Engagement sowie für die Stärkung des Ehrenamtes, hilft, eine echte Willkommenskultur in Schwerin zu entwickeln, will für Flüchtlinge konkrete Hilfs- und Versorungsangebote unterbreiten und strebt Chancengleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit als gesellschaftliche Grundlage an
Berufliches:
Mechaniker, Filmhochschule mit Abschluss als Filmtechniker, seit 1990 erwerbsunfähig
Privates:
geb. Schweriner, Mutter hilft im Alltag, wohnt mit Sohn Nico, gibt honorarfrei Nachhilfe, Mitglied: Lokale Agenda 21, Kulturverein Sagenland MV, Aktion Stadt und Kulturschutz, Mitbegründer Buntes Q

Bildunterschrift:
Torsten Müller (52): „Ich will nicht in einer Welt leben, in der jeder allein nach seinem ökonomischen Nutzen bewertet wird. Das geht genau dann nach hinten los, wenn du krank oder alt wirst.“ Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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