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Dienstag, 3. November 2015

Dörfer im Wandel

Typisch ist das Untypische
Redaktion: Thünen-Institut
PRESSEMITTEILUNG
Braunschweig/gc. Eine Langzeitstudie beleuchtet die Entwicklung ländlicher Lebensverhältnisse in 14 ausgewählten Orten in Deutschland – Wissenschaftler und Politiker diskutieren Ergebnisse in Berlin.


Die Verbundstudie „Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972, 1993 und 2012“ beleuchtet das Leben in 14 ausgewählten Orten in Deutschland. Was das Forschungsprojekt einzigartig macht: Seit 1952 untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Abständen von 20 Jahren die Lebensverhältnisse in immer denselben zehn westdeutschen und seit 1993 auch in vier ostdeutschen Orten. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist Auftraggeber dieser Langzeitstudie.

Koordiniert hat die aktuelle Untersuchungsfolge, an der sieben deutsche Forschungs-einrichtungen beteiligt sind, das Thünen-Institut für Ländliche Räume in Braunschweig. Die Ergebnisse wurden am 29. Oktober in einer Veranstaltung im BMEL in Berlin vorgestellt und mit den Teilnehmern, darunter auch Vertreter aus allen 14 Untersuchungsdörfern, diskutiert.

Die Studie macht sehr heterogene ländliche Entwicklungen deutlich, die in weiten Teilen nicht mit dem landläufigen Bild ländlicher Entwicklungen übereinstimmen. Eines der auffälligsten Ergebnisse: Die Problem- oder „Rückstandsdörfer“ aus der ersten Untersuchung von 1952 haben diese Situation längst überwunden. „Dabei kann die unterschiedliche Entwicklung der Untersuchungsdörfer nicht auf einzelne Faktoren wie verkehrliche Anbindung, wirtschaftliche oder demografische Entwicklung zurückgeführt werden“, sagt der Leiter der Verbundstudie, Dr. Heinrich Becker vom Thünen-Institut. „Die Entwicklungen sind vor allem das Ergebnis der Entwicklungsanstrengungen vor Ort. Dabei verstanden es die örtlichen Entscheidungsträger vielfach, die verschiedenen staatlichen Unterstützungsprogramme in ihrem Sinn zu nutzen.“

Um die Entwicklung der einzelnen Dörfer detailliert zu beschreiben, haben die Forscherinnen und Forscher viele Daten ausgewertet: Rund 3000 zufällig ausgewählte Personen haben in standardisierten Befragungen Auskunft über die Lebensverhältnisse vor Ort gegeben, Vertreter aus Verwaltung, Wirtschaft und Vereinen in vertiefenden Einzelgesprächen die Entwicklung ihrer Orte und Umgebung beleuchtet. Dazu kommen Statistiken beispielsweise zu Einwohnerzahlen und -entwicklung, Infrastruktur und Wirtschaftslage.

Neben der Entwicklung in den Untersuchungsorten von den 1950er-Jahren bis heute setzt die Studie in acht Teilprojektberichten auch unterschiedliche thematische Schwerpunkte. So wurden Zuzugs-, Fortzugs- und Bleibemotive, Bewältigungsstrategien im Alltag, der Wandel der Kindheit, der Umgang mit neuen Medien, die Chancen und Grenzen regionaler Arbeitsmärkte, soziale Unterstützungsstrukturen, kommunale Handlungsmöglichkeiten und die Anforderungen an die Landwirtschaft aus Sicht der Bewohner in den Dörfern untersucht.

Folgende Untersuchungsorte sind in die Verbundstudie einbezogen worden: Bischoffingen und Kusterdingen in Baden-Württemberg, Bockholte, Elliehausen und Groß Schneen in Niedersachsen, Falkenberg und Gerhardshofen in Bayern, Finneland in Sachsen-Anhalt, Freienseen in Hessen, Glasow und Krackow in Mecklenburg-Vorpommern, Badingen, Burgwall, Marienthal, Mildenberg, Ribbeck und Zabelsdorf in Brandenburg, Ralbitz-Rosenthal in Sachsen, Spessart in Rheinland-Pfalz sowie Westrup in Nordrhein-Westfalen.

Kontakt und Projektkoordination:
Dr. Heinrich Becker
Thünen-Institut für Ländliche Räume, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531 596-5503, heinrich.becker@ti.bund.de

Dossier zur Dörferstudie
Die Entwicklung der Dörfer in Deutschland wird häufig schwarz-weiß gezeichnet. Medien berichten vom Ausbluten ländlicher Regionen oder von der Idylle des Landlebens. Tatsächlich sind die ländlichen Entwicklungen viel heterogener als gemeinhin dargestellt. Das macht eine Langzeitstudie an 14 Dörfern deutlich.

Seit 1952 untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Abständen von 20 Jahren die Lebensverhältnisse in immer denselben zehn westdeutschen und seit 1993 auch in vier ostdeutschen Orten (Portraits siehe unten). Koordiniert hat die aktuelle Untersuchungsfolge, an der sieben deutsche Forschungs­einrichtungen beteiligt waren, das Thünen-Institut für Ländliche Räume in Braunschweig. Auftraggeber der Langzeitstudie ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). 

Die Studie macht sehr heterogene ländliche Entwicklungen deutlich, die in weiten Teilen nicht mit dem landläufigen Bild ländlicher Entwicklungen übereinstimmen. Eines der auffälligsten Ergebnisse: Die Problem- oder „Rückstandsdörfer“ aus der ersten Untersuchung von 1952 haben diese Situation längst überwunden.  

Die Einwohnerentwicklung ist ein wichtiger Indikator für die unterschiedlichen Entwicklungen der Untersuchungsdörfer. Ihr kam daher seit Beginn der Langzeitstudie große Aufmerksamkeit zu, sei es wegen Befürchtungen einer „Entleerung ländlicher Räume“ oder einer „Überbevölkerung“. Die Einwohnerentwicklungen in west- wie ostdeutschen Dörfern entsprechen solchen vereinfachenden Problemzuschreibungen jedoch nicht. Die Entwicklung der Bevölkerung in den westdeutschen Untersuchungsorten nahm vielfach keinen geradlinigen Verlauf, sondern wurde oft von einem Wechsel von Bevölkerungswachstum und -rückgang geprägt.

In den vergangenen 20 Jahren verzeichneten alle westdeutschen Untersuchungsdörfer Bevölkerungszunahmen oder hatten stabile Einwohnerzahlen. Die Einwohnerentwicklung der ostdeutschen Untersuchungsorte stand demgegenüber ganz im Zeichen der mit der Wiedervereinigung einsetzenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Die großen Einwohnerverluste lösten aber auch hier nicht die oft befürchtete Spirale nach unten aus.

Thematische Schwerpunkte
Neben der Entwicklung in den Untersuchungsorten von den 1950er-Jahren bis heute setzt die Studie in acht Teilprojekten auch unterschiedliche thematische Schwerpunkte. So wurden Zuzugs-, Fortzugs- und Bleibemotive, Bewältigungsstrategien im Alltag, der Wandel der Kindheit, der Umgang mit neuen Medien, die Chancen und Grenzen regionaler Arbeitsmärkte, soziale Unterstützungsstrukturen, kommunale Handlungsmöglichkeiten und die Anforderungen an die Landwirtschaft aus Sicht der Bewohner in den Dörfern untersucht.

Konzept und Methodik
Für die Durchführung der Studie wurden verschiedene methodische Erhebungs-
instrumente kombiniert. Ähnlich wie bei den Vorgängerstudien erfolgte die Datenerhebung zum einen innerhalb eines gemeinsamen Rahmenkonzepts aus Einwohnerbefragung, Dorfprofilen, Jugenddiskussionen und Validierungsrunden und zum anderen mit eigenen methodischen Vorgehensweisen in den jeweiligen Teilprojekten.

Einwohnerbefragung: In dem traditionellen Herzstück der Studie wurden 3.177 zufällig ausgewählte volljährige Einwohner aus den Untersuchungsdörfern sowohl zu den Anliegen der Teilprojekte als auch zu allgemeinen Fragen zum Leben in ihren Dörfern befragt. Diese Gespräche fanden in der Regel bei den Befragten zu Hause statt und wurden von dafür speziell geschulten Interviewern unter Verwendung von Tablet-PCs durchgeführt. Die Fragen und Antworten waren weitgehend standardisiert.

Qualitative Erhebungen: Zu den unterschiedlichen Fragestellungen, insbesondere der Teilprojekte, aber auch zur Entwicklungder Dörfer, wurden knapp 400 qualitative Gespräche geführt.

Dorfprofile: Jede beteiligte Forschungseinrichtung erstellte je ein Ortsprofil für zwei Untersuchungsorte, in denen der Ist-Zustand der Dörfer, zum Beispiel im Hinblick auf die bauliche Entwicklung oder die Infrastruktur, festgehalten wurde.

Jugenddiskussionen: Um Jugendliche und ihre Sichtweisen auf die Entwicklung vor Ort mit in die Untersuchung einbinden zu können, wurden Jugendliche in den Untersuchungsorten zu moderierten Gruppendiskussionen eingeladen.

Validierungsrunden: In den Validierungsrunden wurden in jedem der Orte die jeweiligen Ergebnisse der Untersuchung präsentiert und diskutiert. Diese Diskussionen fanden wiederum Eingang in die Ergebnisinterpretation.

●Weitere Erhebungsschritte: In einzelnen Teilprojekten kamen zudem weitere Erhebungsinstrumente zum Einsatz, angefangen von einer schriftlichen Vereinsbefragung in allen Untersuchungsorten bis zu dem Einsatz von GPS-Geräten bei speziellen Fragestellungen und in einzelnen Untersuchungsorten.

Aussender:
Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume,
Wald und Fischerei
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Bundesallee 50
38116 Braunschweig

Dr. Michael Welling
Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 0531-596 1016
Fax: 0531-596 1099
pressestelle@ti.bund.de
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