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Samstag, 13. Februar 2016

Mach was aus deinem Leben, Junge

Eine 40-jährige Einwanderungs- und Integrationsgeschichte
von Heiko Wruck
BERICHT
Wittenburg/gc. 1976 wurde der Iran zum dritten Mal in Folge Fußball-Asien-Meister. Im selben Jahr stiegen im Iran auch Militärflugzeuge auf, um ein angebliches Ufo abzuschießen. Mohammad Reza Schah Pahlavi Schahanschah war der vom Westen geduldete Staatsführer des Iran. Und 1976 war das Jahr, in dem der damals 17-jährige Rafi Bakhsh in Deutschland ankam. „Ein Flüchtling bin ich nicht“, sagt er rückblickend.


„Ich komme aus einer kinderreichen Familie. Mein mittlerweile leider verstorbener Vater hatte eine Baufirma mit rund 80 Beschäftigten. Ich hatte eine gute Kindheit in Teheran.“ So wie schon zwei seiner Brüder sollte auch Rafi Architektur studieren, und zwar in Deutschland.

Mit dem Zug fuhren der junge Teheraner und ein Freund über die Türkei nach Deutschland. Eine durchaus abenteuerliche Strecke, die die jungen Männer mit großer Entdeckerfreude und viel Neugier hinter sich brachten. Fünf Tage hatten sie von Teheran bis nach Istanbul gebraucht. Dann stiegen sie in einen anderen Zug um und kamen drei Tage später in München an. Von dort ging es für Rafi Bakhsh mit der Bahn nochmal einen Tag weiter zum Zielbahnhof Hamburg. „Da steht man dann als 17-Jähriger und spricht kein Wort Deutsch. Zwei Cousins holten mich ab, gaben mir Quartier und halfen mir, meinen Anfang in der Bundesrepublik zu starten“, sagt Rafi. Dieser Anfang in Hamburg war Ende der 1970er Jahre nicht einfach. Ablehnung und Misstrauen schlugen dem Iraner von den Behörden entgegen. Zuerst war es wichtig, Deutsch zu lernen.

250 D-Mark pro Monat kostete die private Sprachschule damals. Anschließend absolvierte Rafi die Mittlere Reife an einem privaten Wirtschaftsgymnasium, obwohl er diese bereits aus dem Iran mitgebracht hatte. Dannvmachte er sein Abitur an der Gewerbeschule für Bauhandwerker in Hamburg. Eine öffentliche Unterstützung gab es für all das nicht. Alles wurde von Rafi und seiner Familie bestritten. Ab 1979 musste der angehende Architekturstudent finanziell auf eigenen Beinen stehen.

Im Iran brachen im Zuge des Sturzes des Schahs die Geschäfte des Vaters ein, sodass eine Rückkehr Rafis zu diesem Zeitpunkt auch nicht sinnvoll war. So überbrückte der junge Mann aus eigener Kraft die Zeit bis zu seinem Studienbeginn. Während für Rafi in Hamburg 1980 das Studium begann, entfesselte der Irak – vom Westen unterstützt – einen grausamen Krieg gegen seinen Nachbarn Iran, der in die Geschichte als Erster Golfkrieg einging. „Wäre ich damals, statt in Deutschland zu studieren, in den Iran zurückgekehrt, wäre ich in diesem Krieg verheizt worden“, sagt Rafi Bakhsh.

Fünfeinhalb Jahre studierte er in Hamburg Architektur. Der Krieg in Rafis Heimat dauerte bis 1988. „Weil die wirtschaftliche Lage meiner Familie in Teheran in diesen Jahren sehr angespannt war, habe ich das Studium ohne familiäre Unterstützung und das Leben in Deutschland gemeistert. Ich habe in diversen Jobs gearbeitet: im Freihafen, auf dem Bau, in der Gastronomie. In den Kneipen arbeitete ich zum Beispiel vom späten Nachmittag bis etwa 1 Uhr. Dann habe ich etwas geschlafen und saß um 8 Uhr wieder in der Vorlesung. Danach hatte ich bis zum Nachmittag Zeit, um persönliche Dinge zu erledigen oder was für mein Studium zu tun. Dann ging ich wieder jobben. Das war nicht einfach.“

Rafi hatte seinen Hochschulabschluss als Architekt in der Tasche, da sollte der Erste Golfkrieg noch drei Jahre andauern. Also versuchte der frisch gebackene Architekt wirtschaftlich Fuß zu fassen. „Da findest du erstmal nichts. Alle wollen einen 30-Jährigen mit 40 Jahren Berufserfahrung und tollen Referenzen. Also haben meine Mitabsolventen und ich als kleine, namenlose Zeichenknechte in großen Architekturbüros angefangen. Das brachte zwar keinen beruflichen Fortschritt, aber die Butter aufs Brot. Berufliche Fortschritte brachten Teilnahmen an Wettbewerben zwischen 1986 und 1989. Da konnte man sich schon mal einen Namen machen und erste eigene Projekte an Land ziehen.“

Es folgten eine Familiengründung und der zunehmende geschäftliche Erfolg. 1989 eröffneten sich mit der deutschen Wiedervereinigung auch für Rafi Bakhsh neue Märkte. Diverse private, kommunale und gewerbliche Objekte hat der Architekt bis heute realisiert oder begleitet. Er war mehrere Jahre als sachkundiger Bürger im Bauausschuss der Stadt Wittenburg tätig, bekam die deutsche Staatsbürgerschaft und ist vollständig akzeptiert.



„Als mein Vater mich 1976 in den Arm nahm und verabschiedete sagte er zu mir: ,Mach was aus deinem Leben, Junge.’ Für ihn war wichtig, dass ich lerne, auf eigenen Beinen zu stehen. Als ich 1989 gesehen habe, wie die Deutschen wieder ein Volk geworden sind, wie freundlich und nett völlig fremde Menschen miteinander umgegangen sind, da habe ich mich sehr gefreut. Dieses positive Denken hat die Wiedervereinigung und das friedliche Zusammenleben erst möglich gemacht. Das funktioniert auch heute mit Flüchtlingen, die nur am Anfang Fremde sind. Sie können und wollen Freunde werden.“

Bildunterschrift 1:
Rafi Bakhsh, im Iran geboren und in Teheran aufgewachsen, lebt und arbeitet heute als freier Architekt in Wittenburg. Foto: Heiko Wruck

Bildunterschrift 2:
Rafi Bakhsh: Lerne, auf eigenen Beinen zu stehen. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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