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Samstag, 6. Februar 2016

Verteilung von Reichtum

Nicht die Ungleichheit ist das Neue
Redaktion: Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen
PRESSEMITTEILUNG
Göttingen/gc.  Die Oxfam-Studie „An economy for the 1%“ hat auch in Deutschland eine neue Debatte um die Verteilung von Reichtum ausgelöst. Die Ergebnisse einer globalen Langzeitstudie lassen sich aber nicht eins zu eins auf die Lage in einzelnen Ländern übertragen.


Der dritte Bericht zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland (soeb 3), der im August 2016 erscheint, wird zeigen, dass die Ungleichheit seit den 1980er-Jahren deutlich zugenommen hat. Zwar hat sich für den Moment dieser langjährige Trend in Deutschland abgeschwächt. Von neuer, besorgniserregender Qualität sind aus Sicht des Forschungsverbunds jedoch makroökonomische Unsicherheiten, die hinter der relativ guten konjunkturellen Lage verdeckt sind und in der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen werden – auch hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Verteilungsentwicklung. Im Falle potenzieller Verschlechterungen der Rahmenbedingungen oder gesamtwirtschaftlicher Schocks muss mit einer wieder zunehmenden Ungleichheit von Ressourcen und Teilhabe gerechnet werden.

Die Ursachen für die Fragilität der makroökonomischen Erfolge liegen erstens in Risiken im Finanzsystem, die seit Beginn der Krise im Jahr 2008 zugenommen haben: Da Unternehmen seither weniger Außenfinanzierung in Anspruch nehmen, beobachten wir eine Verschiebung der Kreditvergabe durch Banken weg von Unternehmen und hin zu privaten Haushalten, häufig auch als Immobilienkredite. Wie schon im Vorfeld der Subprime-Krise in den USA – die am Anfang der Verwerfungen in 2007 stand – birgt dies die Gefahr, dass sich eine Überschuldungsproblematik bei Privathaushalten aufbaut, wenn die Niedrigzinsphase ausläuft und Immobilienpreise nachgeben. Dies könnte negative Rückwirkungen auf die kreditvergebenden Finanzinstitutionen und damit das Finanzsystem haben. Zweitens liegen in dem für Deutschland so wichtigen Außenhandel Unsicherheiten im Zusammenhang mit der geopolitischen und finanziellen Situation der Handelspartner: Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben sowohl die Risiken als auch die Erfolgschancen aufgrund der deutschen Exporte erheblich zugenommen. Durch Abhängigkeiten im Außenhandel sind gleichzeitig über Kapitalexporte deutsche Vermögen im Ausland angehäuft worden, die von Ausfall bedroht sind.

Im selben Zeitraum verlangsamte sich der langjährige Trend der immer weiteren Abkoppelung ärmerer Bevölkerungsschichten. Während die Krise von 2008 viele europäische Länder vor Herausforderungen wie hochschnellende Arbeitslosenquoten stellte, kam Deutschland relativ gut mit den Problemen zurecht: das Wachstum des Niedriglohnsektors wurde gestoppt, die Lohnquote stieg, die Arbeitslosigkeit ging bis heute auf historische Tiefstände zurück und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm wieder zu. Allerdings hat die günstige Wirtschaftslage nicht zu einer Umkehr der Verteilungsentwicklung geführt. Vielmehr verharren Ungleichheits- und Armutsindikatoren auf hohem Niveau. Wenn aber – wie schon mehrfach seit den 1980er Jahren – makroökonomisch gegebene Verteilungsspielräume nicht zu einem Aufholprozess für Verlierer früherer Episoden führen, muss damit gerechnet werden, dass der Trend zunehmender Armut und Ausgrenzung nur unterbrochen wurde und sich in der nächsten Krise fortsetzt – ganz abgesehen von den Effekten der jüngsten Flüchtlingswelle. Dass die skizzierten makroökonomischen Risiken gegebenenfalls zu einem neuerlichen Abwärts für untere Einkommensschichten führen, ist auch vor dem Hintergrund anzunehmen, dass die Schutzfunktion sowohl des Haushaltskontextes als auch sozialstaatlicher Netze vor relativer Einkommensarmut seit der Jahrtausendwende abgenommen hat (verbundinterne Analysen).

Auch in Deutschland scheint die von Oxfam ausgelöste Ungleichheitsdebatte daher seit langem schon mehr als angebracht. Es sollten jedoch auch aktuelle Entwicklungen und zukünftige Risiken in den Blick genommen werden: Es muss darüber nachgedacht werden, welche makroökonomischen Stellschrauben neu zu justieren sind, um die derzeit vergleichsweise günstige Lage vor einem drohenden Einbruch zu bewahren. Gleichzeitig sollte geprüft werden, welche steuer- und sozialpolitischen Maßnahmen zur Korrektur der Ungleichheit und zur Vermeidung einer erneut zunehmenden Spreizung der Teilhabechancen geeignet sind.

Kontakt: Dr. René Lehweß-Litzmann
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