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Dienstag, 1. März 2016

Frühstück mitten im Bauschutt

Constanze Jantsch ist eigentlich immer unterwegs
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Rostock/gc. Wie wird man eigentlich Dozentin für Deutsch als Fremdsprache?
Man hat die Qualifikationen, bewirbt sich, wird angerufen, stellt sich dem Vorstellungsgespräch und wird genommen. Die Nachfrage ist derzeit sehr groß. Wenn man da ins Suchraster passt und sich einer anstrengenden Aufgabe stellt, kommt man unter. Ich unterrichte hier in Rostock syrische Flüchtlinge. Ein Kurs, der in Demen starten sollte, kam nicht rechtzeitig zu Stande. Der Rostocker Kurs begann im Dezember 2015 und endet im März 2016. Da sind 25 Syrer, 95 Prozent Männer zwischen 17 und 50 Jahren. Ich erhielt den Anruf, als ich aus Österreich kommend am Hamburger Flughafenterminal stand und hab ja gesagt.


Wie läuft der Kurs, wie werden Sie von den Syrern akzeptiert?
Man muss sich wie jede andere Lehrkraft durchsetzen. Syrer sind nicht anders als Deutsche, Russen oder Kasachen. Als Frau habe ich mit den Syrern noch keine Probleme gehabt. Allerdings ist der Umgang der Flüchtlinge untereinander anders als mit mir. Da spielen Geschlechterrollen eine wesentlich dominantere Rolle, die auch nicht konfliktfrei ist. Da treffen die Unterbringung im Camp, die Eintönigkeit des Camplebens sowie die Unsicherheit über die weiteren Perspektiven, Einzelschicksale, Vorurteile und kulturelle Aspekte aufeinander.

Deutsche sind nicht anders als Russen, Kasachen oder Syrer?
Im Prinzip schon. Ob man in Russland, in der Ukraine, in Katar, in der Türkei, in Polen, in der Schweiz, in Italien, in Österreich oder in Deutschland ist – man will als Fremde freundlich behandelt werden. Nach Köln haben Rostocker Flüchtlinge Blumen verteilt. Sie ängstigen sich, dass sie mit Kriminellen gleichgesetzt werden. Ich war als Reisebegleiterin mehrfach in Russland, war als Hauslehrerin in Moskau tätig. Es gab edle Quartiere, Hotels und ich wohnte ganz normal, wie die Leute vor Ort. Aber immer war ich eine Fremde und vom Wohlwollen der Einheimischen abhängig. Das macht uns alle gleich: Deutsche, Russen, Kasachen, Syrer ...

Welche Erfahrungen haben Sie als Fremde gemacht?
Mitten in der Nacht kam ich in Lemberg an, hatte aber kein Quartier gebucht. Ich fragte auf dem Marktplatz ein paar Leute, wo man hier was trinken kann. Sie sagten, „da unten“, verwiesen auf einen Keller und rieten mir, ein Codewort zu sagen: „Slawa Ukraini“ – Heilige Ukraine. Ich durchschritt die Tür und kam in eine skurrile Bar im Military Style. In Zeiten des Krieges dort nichts Ungewöhnliches. In Moskau platzte von jetzt auf gleich mitten im Winter ein Quartier. Allein durch die Freundlichkeit meiner Mitmenschen konnte ich sofort in eine mit Bauschutt vermüllte Wohnung ziehen und musste nicht auf der Straße bleiben. In Italien durfte ich mal in einem alten Herrenhaus mit edelster Einrichtung schlafen, weil der Italiener Angst hatte, ich könne in meinem Zelt verloren gehen. Beim Bad in einer italienischen Quelle wurde ich von einem Italiener eingeladen, in seiner Villa zu nächtigen, ein Hotel direkt an der Steilküste, Zimmer in den Felsen. Im Sommer beginne ich eine Ausbildung und bin wieder eine Fremde, diesmal in Düsseldorf.

Zur Person
Am besten ist man in der Fremde zu Fuß unterwegs, meint Constanze Jantsch und wandert schon mal mit einem Rucksack durch Georgien.
Berufliches: Abitur in Parchim, Studium Slawistik und Politikwissenschaft in Greifswald, freie Reisebegleiterin, freie Sprachassistentin für Deutsch in Sibirien und Kasachstan, freie Hauslehrerin, zurzeit tätig als freie Dozentin für Deutsch als Fremdsprache – unterrichtet einen Kurs Syrien-Flüchtlinge bei einem Bildungsträger in Rostock; lebte mehrfach und teilweise über Monate im Ausland; in Russland, der Ukraine, Sibirien, Türkei, Kasachstan, Georgien, Österreich, Italien, Schweiz, Polen, Katar; beginnt im Sommer eine dreijährige duale Ausbildung mit Studium in Düsseldorf als Kauffrau für Spedition und Logistik mit Abschluss als Bachelor of Business Administration 
Privates: 1986 in Güstrow geboren; schreibt und fotografiert; liebt das Reisen und Russland; hat mit 14 ein Redaktions-Praktikum in einem überregionalen Anzeigenblatt geleistet

Bildunterschrift:
Constanze Jantsch: Wird in Deutschland das Ticket zum Abfahrtszeitpunkt hin teurer, so ist es in Kasachstan anders. Das Ticket nicht vorher zu kaufen, wird dort mit einem Spätbucherrabatt belohnt. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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