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Dienstag, 24. Mai 2016

Fragile Zugehörigkeit

Handlungsstrategien von Arbeitslosen
Redaktion: SOFI
PRESSEMITTEILUNG
Göttingen/gc. Hartz-IV-Empfänger sind zum Symbol geworden für vermeintlich passive Individuen, denen sozialer Anschluss fehlt. In der jüngst veröffentlichten Studie von Marliese Weißmann (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen) erscheinen sie in einem anderen Licht.


Die Autorin untersucht, wie Arbeitslose darum kämpfen, trotz des Ausschlusses aus dem Arbeitsmarkt dazuzugehören. Die Studie zeigt, dass Hartz-IV-Empfänger nicht einfach rein passiv bleiben und sich zurückziehen, sondern auf verschiedene Weise versuchen, Zugehörigkeit herzustellen und anerkannt zu werden.

Wie verschaffen sich Hartz-IV-Empfänger sozialen Halt? Mit welchen Deutungen und Strategien versuchen sie, an die Gesellschaft anzuschließen und Ausgrenzungen gegenzusteuern?

Marliese Weißmann nimmt in ihrer Studie einen Perspektivwechsel vor: Sie fokussiert auf die Anstrengungen von Langzeitarbeitslosen trotz Ausschlusserfahrungen dazuzugehören. Damit setzt sie einen wichtigen Kontrapunkt in den Debatten um Arbeitslosigkeit, in denen in der Regel der Ausschluss interessiert und Hartz-IV-Empfänger als passive Individuen erscheinen. Außerdem widmet sie sich einer Gruppe von Arbeitslosen, die angesichts der geringen Arbeitslosenquote oft in Vergessenheit gerät, obwohl sie mit einer Million eine große Gruppe darstellt.

Weißmann arbeitet auf Basis von Interviews typische Inklusionsstrategien von Arbeitslosen heraus. In den Blick kommen dabei sowohl subjektive Zugehörigkeitsdeutungen und die darin implizierten Selbst- und Gesellschaftsbilder als auch Praktiken der Zugehörigkeitsherstellung. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass ALG-II-Empfänger sich nicht rein passiv verhalten. Vielmehr zeigt die Studie ein weites und kontrastreiches Spektrum an Inklusionsleistungen auf. Während manche zu beweisen versuchen, dass sie – etwa im Hinblick auf ihr äußeres Erscheinungsbild – ‚normal‘ wie andere sind, betonen andere ihre Besonderheit z. B. durch politische Aktivitäten oder soziale Kontakte zu öffentlich bekannten Personen.

Zu beobachten sind vielmals moralische Positionierungen der Arbeitslosen, wie z. B. die Betonung ihrer sozialen Nützlichkeit als „guter Vater“ oder „guter Bürger“. Damit grenzen sie sich von vermeintlich ‚faulen‘ und passiven ALG-II-Empfänger ab. Auffällig ist außerdem, dass die Hartz-IV-Empfänger trotz der langanhaltenden Arbeitslosigkeit Anschlüsse an die Arbeitsgesellschaft wie in virtuellen Spielwelten suchen, wo sie ihre Aktivitäten als Arbeit deuten. Arbeit verliert somit auch am ‚Rande der Gesellschaft‘ nicht an Bedeutung.

Insgesamt verdeutlicht Weißmanns Studie, dass die Arbeitslosen zwar um Zugehörigkeit kämpfen, das zentrale Problem jedoch die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Zugehörigkeitsdeutungen und -praktiken ist: die Zugehörigkeit bleibt fragil.

Kontakt:
Dr. Marliese Weißmann
Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V.
Tel.: +49 551-5 22 05 46
marliese.weissmann@sofi.uni-goettingen.de

Aussender:
Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Friedländer Weg 31
37085 Göttingen
sofi@sofi.uni-goettingen.de

Dr. Jennifer Villarama
Tel.: +49 (0)551-5 22 05 19
Fax: +49 (0)551-5 22 05 88
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