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Montag, 15. August 2016

Trockenstress am Wasserhahn

Klimawandel in Mecklenburg-Vorpommern
von Heiko Wruck
BERICHT
Lassahn/gc. Mittlerweile gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Klimawandel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unaufhaltsam ist. Und er ist mit dramatischen Ungerechtigkeiten verknüpft.

Der Wohlstand heutiger Industrienationen wurde und wird immer noch mit der Verschmutzung der Atmosphäre, mit der Übernutzung von Böden und Gewässern sowie mit sozialer Armut erkauft. Deutschland scheint kaum vom Klimawandel betroffen zu sein. Doch der Schein trügt, wie Untersuchungen für Mecklenburg-Vorpommern zeigen.

2015 lag die Niederschlagsmenge in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich bei 615 Litern pro Quadratmeter. 688 Liter waren es für Deutschland. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden in Mecklenburg-Vorpommern in der Menge kaum Veränderungen erwartet. Die Prognosen liegen zwischen -15 bis +10 Prozent. Aber wie es mit Statistiken so ist, der Teufel steckt Detail.

Während im Osten Mecklenburg-Vorpommerns die Jahresniederschlagsmengen mit einem Minus von 5 Prozent abnehmen, bleiben sie im Landeswesten mit einem Plus von 5 Prozent fast konstant. Die Niederschlagsgrenze verläuft etwa auf der Höhe der Stadt Güstrow. Die Entwicklung der Niederschläge ändert zwar in der Gesamtmenge kaum etwas, wirkt sich jedoch gravierend vor Ort aus.

Die Sommerniederschläge reduzieren sich in Häufigkeit und Menge erheblich, um als Winterniederschläge geballt zurückzukommen. Dadurch werden die Vegetationsperioden – April bis September – immer trockener. Anderseits wird es vermehrt Starkregen- und Hochwasserereignisse geben – Oktober bis März. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, vor welchen Herausforderungen Mecklenburg-Vorpommerns Landwirte, Stadt- und Landschaftsplaner sowie die Landespolitiker stehen.

Bereits für die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts rechnen Wissenschaftler fest mit der Erhöhung der Starkregen-Bemessungskennwerte um 50 Prozent für das Modellgebiet Schwerin. Ebenfalls mit einer Erhöhung der Starkregenwerte rechnet man auch an Elbe und Schaalsee – dort mit einem Plus zwischen 15 und 30 Prozent.

Das wirkt sich unmittelbar auf den Wasserhaushalt in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt aus – Wasserabfluss, Speicherfähigkeit, Grundwasserneubildung und die Selbstreinigungskraft der Fließgewässer im Sommer und Winter. Verändern wird sich auch der Bedarf an Wasserkraftwerken zur Energiegewinnung sowie die Mengensicherstellung von Bewässerungs-, Industrie-, Brauch- und Trinkwasser.

Während im Winter zu viel Wasser kanalisiert werden muss, wird die Wasserbeschaffung im Frühjahr und Sommer zur besonderen Herausforderung. Ein Beispiel für die Beeinflussung des Wasserhaushaltes am Schaalsee ist das Wasserkraftwerk in Farchau bei Ratzeburg in Schleswig-Holstein. Abgesehen von der kontinuierlichen Nutzung des Schaalseewassers kommt es zwischen Oktober und April zur Energiegewinnung alljährlich zu Seespiegelabsenkungen von bis zu 30 Zentimetern. Der Schaalsee ist 24 km² groß. Folgen der jährlichen Seespiegelabsenkungen sind der starke Rückgang von Feuchtgebieten, eine fortschreitende Veränderung der Vegetation, Torfmineralisation und steigende Nährstoffeinträge in den Schaalsee. Als Trinkwasserlieferant taugt der Schaalsee – als einer der tiefsten Seen Deutschlands – längst nicht mehr.

Extreme Niedrigwasserereignisse bedeuten auch weniger Verdunstung, damit weniger Niederschläge und weniger Bodenfeuchte. Ganze Regionen fallen im Sommer und Herbst trocken. Die trockengefallenen Gebiete werden dann im Winter und Frühjahr von Starkregen- und Hochwasserereignissen getroffen – immer öfter nach Anzahl und Dauer. Die direkten Wirkungen des Klimawandels führen so zu einem erheblichen Anpassungsdruck, nicht allein auf Arten und Ökosysteme, sondern auch auf die in Mecklenburg-Vorpommern lebenden Menschen.

Was der Begriff Trockenstress bedeutet, erfahren gerade die Einwohner des US-Bundesstaates Kalifornien. Das Besprengen des Rasens zur falschen Zeit ist strafbewehrt, das Trink- und Kochwasser kommt immer öfter aus der Flasche. Ein Szenario, das auch für Mecklenburg-Vorpommern denkbar wird. Viehhaltung, Garten-, Plantagen- sowie Feldbewässerung, aber auch die touristische Wasserbeschaffung und -nutzung – etwa für öffentliche Badeeinrichtungen, Spaß- und Wellnessbäder oder die Trinkwasserversorgung stehen vor riesigen Herausforderungen.

Der Klimawandel findet statt – auch in Mecklenburg-Vorpommern – nicht irgendwann, sondern bereits jetzt schon. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Weitgehende Renaturierungen, die Senkung des Energie-, Land- und Ressourcenverbrauchs sind daher keine theoretischen Spielereien.

Bildunterschrift 1:
Elbe-Hochwasser am 11. Juni 2013 in Boizenburg: Der Klimawandel hat sehr konkrete Auswirkungen vor Ort. Sie sind seit Jahren auch in Mecklenburg-Vorpommern deutlich sichtbar. Foto: Heiko Wruck

Bildunterschrift 2:
Renaturierungen kosten viel Geld/Baumaßnahmen im Neuendorfer Moor, das 2007/2008 renaturiert wurde: Im 12. Jahrhundert wurde in Europa begonnen, Sümpfe und Moore trockenzulegen. Die Flüsse wurden begradigt, kanalisiert und verrohrt, Feuchtgebiete wurden entwässert. In den 1970er Jahren hatte die Melorisation ihren höchsten Stand erreicht – mit dramatischen Folgen. Durch die Absenkung des Grundwasserspiegels erfolgte die Mineralisierung der Torfkörper der Moore. Die wurden in verstärktem Maße zu CO2-Emittenten. Diese Emissionen verstärken wiederum die klimatischen Auswirkungen. Sintflut- und Hochwasserereignisse, aber auch schwere Stürme und Dürren sind in Europa längst keine Ausnahmen mehr. Foto: braschelb

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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