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Freitag, 21. Oktober 2016

Drückeberger!

von Heiko Wruck
KOMMENTAR
70.000 oder „nur“ 164 Tote, welche Zahl ist gerechtfertigt?


Das sollte der Zuschauer als Schöffe nach dem Fernsehspiel »Terror« nach Ferdinand von Schirach, das am Montag, 17. Oktober 2016, von der ARD ausgestrahlt wurde, per Voting entscheiden: und damit auch die Schuldfrage klären.

Der in dem Stück auftretende Kampfpilot stand vor der Wahl, eine entführte Passagiermaschine abzuschießen und so entweder den Tod von 164 Passagieren oder zusätzlich auch den von 70.000 Stadionbesuchern in Kauf zu nehmen, würde er den Flieger nicht vom Himmel holen.

Egal ob der Pilot schießt oder nicht, er kann in diesem (!) Fall nicht verantwortlich gemacht werden. Er muss allein entscheiden. Das Ziel vor Augen bedeutet nicht, dass auch die Informationen stimmen. Sind tatsächlich 70.000 Stadionbesucher lebensbedroht? Hätten sie evakuiert werden können? Sind es tatsächlich 164 ganz normale Passagiere oder sind alle Terroristen? Der Pilot weiß es nicht. Er kann nur mutmaßen.

Hat er keinen Schießbefehl, darf er nicht schießen. Hat er einen, muss er sich mutmaßlich auf das verlassen, was ihm seine Vorgesetzten sagen. Würde jeder Zuschauer seiner eigenen Tötung oder der seiner Lieben ebenso zustimmen – säßen er oder sie in der Maschine oder im Stadion. Verantwortung tragen allein die, die den Schießbefehl in dieser Situation geben – oder auch nicht geben. Jedoch den Zuschauer in dieser Frage zum Richter, und damit zum Entscheider über Schuld oder Unschuld zu machen, ist skandalös. Das ist Politik nach Stimmungslage.

Wie viele Opfer liegen noch im Wohlfühlbereich? Stimmungslagen sind jedoch manipulierbar. Und Manipulationen sind immer dann gut, wenn man gerade kein Opfer ist, weil bei anonymen Entscheidungen am Ende auch niemand verantwortlich ist.

Das gab‘s schon einmal. Bis 1945 war die Mehrheit der Deutschen überzeugt, dass Untermenschen – Behinderte, Juden und Zigeuner – ausgemachte Volksschädlinge seien. Deswegen hatte auch die Mehrheit der Deutschen so gar kein kein Problem damit, diese „Schädlinge“ vernichten zu lassen. Hauptsache, man war nicht selbst daran beteiligt – nicht als Täter und auch nicht als Opfer.

So sind eben auch 164 Menschen verzichtbar, wenn 70.000 gerettet werden können. Es sei denn, die 164 Leute sind die Leistungsträger der Gesellschaft, große Wissenschaftler und Politiker etwa, die mit ihren Leistungen vielleicht so gar Millionen Leben retten würden – wenn man sie ließe.

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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