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Montag, 10. Oktober 2016

Tod und Leid nicht vor Augen

... hat Melitta Sahl, wenn sie am Frühstückstisch sitzt
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Schwerin/gc. Sitzt der Tod bei der Notfallseelsorgerin immer mit am Tisch?
Nein, das tut er nicht. Ich habe gelernt, abzuschalten. Zu Cappuccino, Vollkornbrot mit selbstgemachter Marmelade und einem weich gekochten Ei passen solche Gedanken einfach nicht. Da würde man ja depressiv werden.


Wenn man ständig mit Notfällen zu tun hat, dürfte das Abschalten nicht so einfach sein.
Das kann man lernen. Wird es zu viel, gibt es die Super Vision. Dort wird in Gesprächen geholfen, mit dem Erlebten fertig zu werden. Aber es bleibt „nur“ ein Ehrenamt. Das passiert also auch nicht jeden Tag. Wir haben eine 24-Stunden-Rufbereitschaftswoche von Dienstag zu Dienstag 9 bis 9 Uhr. Bei zurzeit 12 Kollegen ist man also einmal im Viertel Jahr im Dienst. Und es passiert ja auch nicht immer was. Da bleibt Zeit, alles zu verarbeiten.

Was passiert bei der Notfallseelsorge eigentlich genau?
Ich arbeite ehrenamtich bei der Notfallseelsorge/Notfallhilfe der Johanniter im Regionalverband MV West. Die Koordination erfolgt über die Leitstelle 112 und den Kriminal Dauer Dienst. Wir treten auf, wenn der plötzliche Tod eines geliebten Menschen über die Hinterbliebenen hereinbricht: bei Unfällen, Katastrophen, Suiziden, Gewalt- und Tötungsdelikten. Notfallseelsorger sprechen als Erste eingehend und tiefgründig mit den Hinterbliebenen, spenden Trost, fangen sie auf, geben Orientierung. Eineinhalb Stunden, manchmal auch länger, bleiben wir bei den Traumatisierten. Einmal im Jahr gibt es einen zertifizierten Lehrgang, der 92 theoretische und praktische Unterrichtseinheiten umfasst. Ein ständiger Bereitschaftsdienst stellt wochenweise die Dienste sicher. Aber auch wenn man an einem Ereignistag gerade Dienst hat, kann man darum bitten, dass ein anderer den Einsatz übernimmt. Wichtig ist, dass man auch die Tagesform mitbringt. Sonst beschädigt man sich selbst, kann nicht helfen.

Hilfe geben kann aber nicht jeder. Wer eignet sich dafür?
Echte Helfer brauchen innere Stärke. Menschen mit Helfersyndrom sind nicht geeignet, weil man abschalten können muss und nicht selbst im Mittelpunkt steht. In einem Eignungsgespräch wird festgestellt, inwieweit Bewerber psychisch stabil und dauerhaft belastbar sind. Den Interessenten wird vermittelt, wie die Szenarien und Umstände ihrer Tätigkeit aussehen können. Sie müssen auf jeden Fall loslassen können – nicht nur die Eindrücke vor Ort, sondern auch die Hinterbliebenen. Unsere Helfer kommen aus vielen verschiedenen Berufen oder Berufsgruppen. Einen typischen Beruf gibt es nicht. Es kommt auf die persönliche Eignung an. Helfer kann man ab 21 Jahren werden. Die meisten Helfer sind zwischen 30 und 60 Jahre alt. In unserem Regionalverband sind derzeit vier Frauen und acht Männer tätig.

Gibt es bei diesem Ehrenamt auch glückliche Momente?
In den Terminen, in denen wir Beistand leisten, nicht. Da bricht immer für den anderen ganz plötzlich eine komplette Welt zusammen. Bei Kindern und Alten ist das noch schwieriger. Später kommt es mal vor, dass man sich wiedersieht. Dann ist da auch der Dank zu sehen.

Zur Person
Ist der Einsatzbericht geschrieben, sagt Melitta Sahl, dann ist der Vorgang abgeschlossen.
Berufliches:  1986 - 1988 Lehre Hotel und Gaststättenwesen, als Verkäuferin übernommen; zum Küchenleiter qualifiziert; lebt seit 1992 in Schwerin; ab 1995 Filialleiterin in Schwerin; 2001 - 2004 Projektleiterin INKA beim DRK in Ludwigslust – Ersthelferausbildung, Ausbilder für Lebensrettende Sofortmaßnahmen, Grundlagenkurs Jugendsozialarbeit; 2005 - 2008 exam. Altenpfleger, im Beruf gearbeitet; seit 2009 ehrenamtlich in der Notfallbegleitung; Koordinatorin Schwerin/Umland; seit 2011 Ausbilderin, Praxisanleiterin Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege; seit 2012 AED-Ausbilderin; 2009 tätig im Bereich außerklinische Beatmung; 2013 Ausbilder Kindernotfälle; seit 2015 in der Reha Klinik Leezen auf Wachstation
Privates: geb. 1969 in Groß Gievitz bei Waren; aufgewachsen/Schule; 1995 geheiratet, erw. Kinder, Hund, Katze; geht gerne spazieren – a. d. See, liebt Backen, Radfahren, Krimis, Musik: Klassik, Rock

Bildunterschrift:
Melitta Sahl: Wer sich für eine ehrenamtliche Mitarbeit in der Notfallseelsorge/Notfallhilfe der Johanniter im Regionalverband MV West interessiert, kann sich unter Telefon 03866-46 22 0, Lindenallee 2, in Leezen melden. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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