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Dienstag, 27. Dezember 2016

Künstliche Intelligenz

Wem werden wir gehören?
von Heiko Wruck
FEUILLETON
Heute wissen fünf private Unternehmen mehr über Internetnutzer, als je eine Regierung je über die von ihr Regierten gewusst hat – und das rund um den Globus.


IBM und Amazon, Facebook, Google und Microsoft bauen an einer Künstlichen Intelligenz, die schon bald nicht nur die Industrie 4.0, die Arbeit 4.0 oder die Wissenschaft 4.0 bestimmen wird, sondern auch die Gesundheit des Einzelnen, das gesamte öffentliche Leben und die komplette staatliche Verwaltung.

Anders ausgedrückt: Die Künstliche Intelligenz wird über kurz oder lang alle gesellschaftlichen Prozesse und jeden Einzelnen bis in die Privatsphäre hinein steuern. Mir fällt dazu ein Zitat aus der Bibel ein, Offenbarung des Johannes: „Wer das Malzeichen nicht hat, oder den Namen des Tieres, oder seine Zahl, wird nicht mehr kaufen beziehungsweise verkaufen können.“

Bereits innerhalb der nächsten 10 Jahre ist damit zu rechnen, dass unsere Städte mit Sensoren, Kameras und unsichtbaren Netzwerken so vollgestopft sein werden, dass jede Einzelperson vom Aufstehen bis zum Schlafengehen lückenlos überwacht werden kann.

Aus diesen Bewegungsprofilen, aus den Einkäufen, aus den Verkäufen und Schenkungen, aus den von und über diese Person gemachten Äußerungen, aus ihren Sozial-, Arbeits- und Krankendaten und aus vielem mehr entsteht ein persönliches Dossier über jeden Einzelnen, dass schließlich bis zum Tod der jeweiligen Person fortgeschrieben wird. Es werden nicht die Menschen und nicht ihre Regierungen, sondern nur wenige private Unternehmen sein, die diese Daten besitzen.

Die Zeit bis dahin ist heute schon fast absehbar. In dem Augenblick, in dem es tatsächlich gelingt, auch Kleinstbeträge im Alltag mobil bezahlen zu können, ist die Freiheit der Anonymität und damit auch der Autonomität gänzlich verloren. Der Einzelne entscheidet nicht mehr autonom nach eigenem Gutdünken. Er kann nur noch teilnehmen, wenn die Künstliche Intelligenz es zulässt.

Voraussetzung dafür ist die totale Erfassung aller personenbezogenen Daten, deren totale Kategorisierung und die vorausschauende Berechnung jeden Verhaltens eines jeden Einzelnen. Die Norm dafür nennt sich Leistungsfähigkeit.

Wenn Künstliche Intelligenz bestimmt, wer in welchem Umfang leistungsfähig ist, dann bedarf es dazu nicht mehr der sozialen Bezüge. Genau deshalb ist es mehr als nur verharmlosend, die Künstliche Intelligenz als rein technisches Phänomen zu begreifen. Es ist geradezu naiv. Künstliche Intelligenz bedeutet, konkret Macht auszuüben. Dazu ist nur in der Lage, wer auch die Datenhoheit hat. Wenn jedoch der Einzelne nicht mehr ganz und gar allein Herr seiner Daten ist, sondern nur eine Handvoll privater Unternehmen, dann gibt es auch keine Selbstbestimmung mehr.

Intelligenz, auch eine künstliche, ist immer auch an Emotionen gebunden: Wut, Freude, Hass, Euphorie, Mitleid und Mitleidlosigkeit, Gnade und Ungnade, Verständnis, Akzeptanz, Freundlichkeit, Freundschaft, Feindschaft, Liebe, Angst und Hoffnung, Mut und Verzweiflung ... Wer will solche Emotionen in Algorithmen zwängen?

Es geht hier nicht darum, den technischen Fortschritt zu diskreditieren. Im Gegenteil. Selbstfahrende Autos werden die Unfallzahlen senken. Mit ihnen sinken auch die Opferzahlen. Keine Frage. Die Hochleistungsmedizin sorgt dafür, dass wir immer älter bei immer besser werdenden Gesundheitszuständen werden. Wer will darauf verzichten? Maschinen nehmen uns gefährliche und lästige Arbeiten ab. Auch das erhöht unsere Lebensqualität. Was aber, wenn Menschen nur noch die Arbeiten erledigen, zu denen die Maschinen keine Lust haben?

Wenn wir heute keinen Gesellschaftsentwurf entwickeln, der unser Zusammenleben mit der Künstlichen Intelligenz nach unseren Regeln festlegt, werden wir entmündigt. Schon heute sind unsere technischen Helfer sehr viel leistungsfähiger, ausdauernder und belastbarer als jeder einzelne Mensch. Der Unterschied ist, dass die technischen Helfer jemandem gehören und in seinem Auftrag handeln. Wenn diese technischen Helfer darüber bestimmen, woran jeder einzelne Mensch teilhaben darf und woran nicht dann müssen wir uns fragen, wessen Eigentum wir sind? Gehören wir also bald IBM und Amazon, Facebook, Google oder Microsoft? Und was wäre, wenn nicht nur allein Werbebotschaften, sondern auch Vorschläge für die nächste Wahl auf die einzelne Person zugeschnitten würden? Welches Angebot man bekommt, entscheidet dann nur noch der Eigentümer.

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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