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Freitag, 6. Januar 2017

Landwirte brauchen Mut zur Nische

Produkte für Nachbarn – Regionales Markenbewusstsein
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Lübesse/gc. Dass Milch nicht für erwachsene Menschen gemacht ist, ist eine Behauptung, die schwer nachzuvollziehen ist. Immerhin passten sich vor rund 7.500 Jahren die Europäer auch an die Laktose an und sicherten damit das Überleben ihrer eigenen Spezies. Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Anpassung an die Laktose mit der Domestizierung der Haustiere, dem Sesshaftwerden der Menschheit und dem Ackerbau zusammenfallen. Nicht der Jäger, sondern der Bauer war es, der mit seiner Landwirtschaft die Lebensgrundlagen der Menschheit schuf. Bis in die Gegenwart hat sich daran nichts geändert. Jedoch stehen Landwirte als Unternehmer heute stärker unter Druck. Und sie sind erpressbarer geworden, sagt Gerd Göldnitz, Chef der Agp Lübesse Agrarproduktgesellschaft mbH.


Warum sind Landwirte heute erpressbar?
So gut wie alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind heute Standards unterworfen, die sie vermarktungsfähig machen oder auch nicht. Milch, Käse, Butter, aber auch Möhren, Kartoffeln oder Äpfel müssen qualitativ ganz bestimmte Normen erfüllen und in gewissen Mengen angeboten werden, um überhaupt in den Handel zu gelangen und gleichzeitig vom Verbraucher akzeptiert zu werden. Alles, was nicht der »Norm« entspricht, lehnt der Verbraucher ab. Landwirtschaftliche Produkte für die Ernährung der Bevölkerung wie Rinder, Schweine ,Geflügel oder Milch werden über verschiedene Verarbeiter wie zum Beispiel Schlachtbetriebe oder Molkereien weiterverarbeitet und Lebensmittelherstellern oder dem Handel angeboten. Da aber die meisten Landwirte Standardware produzieren, werden sie als Produzent auch austauschbar und so über den Preis für ihre Ware erpressbar. In Zeiten des Überflusses und im Preiskampf der Discounter wird der Niedrigpreis zum Urproduzenten, dem Landwirt durchgereicht. Im Supermarkt wird das durch dauerhafte Tiefstpreise für Lebensmittel sichtbar. Ursprüngliche Qualität und Herkunft sind für den Verbraucher nicht mehr zu erkennen. Es wird für den einzelnen Landwirt immer schwerer, in diesem Preiskampf mitzuhalten.

Klingt so, als hätten Landwirte keine Chance mehr.
Nur Landwirte, die sich spezialisieren und ihre Herstellungskosten niedrig halten, können langfristig überleben. Sie sollten breit aufgestellt sein und müssen die Balance zwischen Standardware und Eigenmarke finden. Das setzt ein Markenbewusstsein beim Verbraucher voraus.

Deswegen die Probleme mit Milchseen und Butterbergen? 
Dass die Milchquote weg ist, halte ich für richtig. Jetzt könnten Landwirte je nach Marktlage in Abstimmung mit ihrem Vertragspartner schneller reagieren. Heute erzielen Landwirte in Deutschland um die 30 Cent für einen Liter Milch. Es waren aber auch schon unter 20 Cent. Gebraucht werden je nach Kostenstruktur um die 35 Cent pro Liter Milch. Der deutsche Verbraucher bezahlt im Handel knapp einen Euro pro Liter. Jedoch in China werden um die vier Euro pro Liter bezahlt. Wenn also der deutsche und die europäischen Märkte gesättigt sind, müssen andere Abnehmer gefunden werden. Dort prallen Amerikaner, Asiaten und Europäer aufeinander. Die globalen Erzeuger liefern alle ähnliche Standardware, wenn ich  zum Beospiel an Milchpulver oder Butter denke, die von der verarbeitenden Lebensindustrie international aufgekauft wird. Das geht auch nicht anders, weil Standards für die Weiterverarbeitung wichtig sind. Für den einzelnen Landwirt wird es hierdurch extrem schwer, mitzuhalten. Einerseits fallen die Preise, andererseits muss er ständig investieren: in gute Arbeitskräfte, Tiere, Pflanzen, Technik, Gebäude, in den Landerwerb und in vieles mehr. Jahrzehntelange Verbindlichkeiten sind die Folge – bei schwankenden Marktpreisen. Ständig neue Auflagen, Verordnungen und Gesetzesänderungen machen uns zusätzlich zu schaffen.

Wie können Landwirte sich behaupten?
Glücklicherweise erhalten die Landwirte am Jahresende Ausgleichszahlungen die, wie sollte es anders sein, an die Einhaltung bestimmter Parameter gebunden sind und einen Teil von extremen Preisschwankungen ausgleichen. Dadurch wird natürlich der reale Erzeugerpreis verwässert und künstlich drückt. Die Förderung sorgt aber auch dafür, dass die in der Landwirtschaft tätigen Menschen von ihrer Arbeit auch vernünftig leben können. Wären Lebensmittel etwas teurer,  und vorausgesetzt die Preisdifferenz kommt beim Landwirt an und bleibt nicht wie üblich in der Verarbeitungskette oder im Handel, kämen viele Betriebe ohne Förderung aus.

Also Mindestlohn plus Aufstockung aus Steuermitteln ...
Nein, das ist auch nur eine Subvention, die die Erhaltung vieler Arbeitsplätze in der heimischen Landwirtschaft sichert und die hohen Standards deutscher Produkte gegenüber Importen gewährleistet. Als Landwirt muss ich zum Beispiel in der Lage sein, Flächen erwerben zu können oder zu pachten, um sie zu bewirtschaften. Zur Wende hat ein Hektar beispielsweise um 2000 D-Mark gekostet. Heute kostet derselbe Hektar ungefähr das Zwanzigfache. Da können viele Landwirte nicht mithalten. Maschinen, Gebäude, technische Anlagen, Werbung, Marketing und auch die hohen Umweltstandards weiter müssen bezahlt werden. Das zu fördern, ist immer sinnvoll.

Bildunterschrift:
Gerd Göldnitz: Gelingt es Landwirten, sich neben dem Standardgeschäft auch als regionale Markenerzeuger mit speziellen Produkten zu etablieren, haben sie langfristig eine Chance. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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