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Samstag, 22. Juli 2017

Wir essen nicht, was wir finden

... sagt MVs Landestierarzt Dr. Dirk Freitag
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Schwerin/gc. Frühstückt MVs Landestierarzt tote Tiere?
Kein Fleisch, keine Wurst. Obst, ein Ei, Brötchen, Marmelade, Butter, schwarzer Kaffee.


Warum essen wir geschlachtete, aber keine natürlich verstorbenen Tiere? Tot ist tot.
Glücklicherweise sind wir nicht mehr wie unsere ältesten Vorfahren darauf angewiesen, zu essen, was wir zufällig finden. Das betrifft auch gefallene Tiere. Tierhaltung ist Vorratshaltung. Das Schlachten und die sofortige Verarbeitung verhindern den bakteriellen Verderb des Fleisches. Das ist bei einem natürlichen Tod nicht gegeben. Außerdem schläft nicht jedes Tier friedlich ein. Ein Sterbeprozess kann sich oft hinziehen: Krankheiten, Unfälle, Leiden … Wer will das essen? Es gibt somit hygienische, wirtschaftliche, kulturelle und ethische Gründe für die Schlachtung, die in entsprechenden gesetzlichen Regelungen fixiert sind.

Ethik ist ein gutes Stichwort. Ist es gerechtfertigt, Schweine betäubungslos zu kastrieren?
Ab dem 1. Januar 2019 ist die Ferkelkastration ohne Betäubung in Deutschland verboten. In Dänemark, in Osteuropa und in vielen anderen Ländern übrigens nicht. Die Eberhaltung ist zum Beispiel eine Möglichkeit, die Kastration zu vermeiden. Doch Eber führen heftige Rangkämpfe, bei denen sie sich gegenseitig sehr schmerzhaft verletzen können. Und Eberfleisch kann einen sehr unangenehmen Geruch entwickeln. Deswegen werden Ferkel kastriert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: die immunologische und die chirurgische Kastration. Die chirurgische Methode wird also ab dem genannten Datum immer mit einer Betäubung einhergehen. Bei der immunologischen Kastration werden die Eber im Abstand von mindestens vier Wochen zweimal geimpft. Die Bildung der Geschlechtshormone wird durch körpereigene Antikörper für bis zu acht Wochen drastisch reduziert. Das Fleisch riecht nicht mehr, und die Tiere sind friedlicher. Weder das eingesetzte Mittel, noch die Antikörper sind Hormone. Also ist das so behandelte Fleisch auch nicht hormonell behandelt. Nun zum ethischen Aspekt. Das alles kostet Geld. Die Verbraucher entscheiden, was  sie auf ihren Tellern wollen. Kommt es von den Tieren, die in Deutschland ab dem 1. Januar 2019 unter Betäubung kastriert wurden? Oder greifen sie zu Billigimporten? Wir reden hier nicht nur von Aufschnitt, Sülze, Steaks und Schnitzeln, sondern auch von Braten, Pizzen und allen Produkten, die Schweinefleisch enthalten.

Essen als politische Entscheidung. Steuern wir auf fleischlose Ernährung und weniger gewerbliche Tierhaltung zu?
Schon aus gesundheitlichen Gründen sollten wir nicht jeden Tag Fleisch und Wurst essen. Es geht vielmehr um eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung. Wenn Essen eine politische Entscheidung ist, dann sollte man auch wirtschaftliche Aspekte im Hinterkopf behalten. Jede einzelne Verbraucherentscheidung hat somit ihren Preis, das heißt, hier gilt es auch zwischen Anspruch und Wirtschaftlichkeit abzuwägen.

Zur Person
Essen hat heute sehr viel mit Abstraktion zu tun, sagt Dirk Freitag: Wie Lebensmittel entstehen, weiß kaum jemand.
Berufliches: 1984 - 1989 Studium an der Humboldt-Universität Berlin: Diplom-Veterinärmediziner; 1989 - 1996 diverse tierärztliche Tätigkeiten in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – in dieser Zeit u. a. tätig als Amtstierarzt und 1994 Erlangung des Doktorgrades; seit 1996 im Veterinär- und Lebensmitteluntersuchungsamt des Landes Mecklenburg-Vorpommern; 2003 Referatsleiter in MVs Landwirtschaftsministerium; seit 1. Dezember 2015 Landestierarzt
Privates: geboren am 26. November 1962 als Studentenkind in Berlin; 1962 Umzug nach Malchin, dort aufgewachsen, 1981 Abitur, Hobbys: Reisen, Motorrad, Lesen, klassische Musik

Bildunterschrift:
Dr. Dirk Freitag, Landestierarzt Mecklenburg-Vorpommern: Tiere brauchen Schutz vor schlechter Haltung und Behandlung sowie vor Leistungsmissbrauch. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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