Irkutsk: Frische Luft bei minus 21 Grad Celsius
von Constanze Jantsch
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Reportage
Beim Waschen der Hände fällt mein Blick in den Spiegel und direkt in die Augen meiner pelztragenden händewaschenden Nachbarin. Ihr Blick sagt mir, dass es für Frauen wie mich in unweiblicher und unförmiger Outdoorbekleidung neben dem Herren-, Damen- und Behinderten-WC eine weitere Alternative geben sollte. Um der russischen Verbannung zu entgehen, verschwinde ich mich mit nassen Händen unerwartet rasch aus den Augen meiner Betrachterin.
Im Flieger versüße ich mir die Warterei vor dem Start mit Gucken und Hören. Ich freue mich über die englische Ansage mit dem russischen Akzent, über den schrägen Klingelton eines Handys, eine Melodie, die mich an meine Moskauer Taxifahrten erinnert. Das petrolfarbene Kunstleder der Sitze ist noch in erstaunlich gutem Zustand, wenngleich die schwere Metallverkleidung auf einen älteren Vogel schließen lässt.
Die Maschine ist kaum gefüllt, ich habe die ganze Sitzreihe für mich. Das ermöglicht es mir, vor dem Schweiß-Wodka-Geruch meines korpulenten Vordermannes zu flüchten und mich ans Fenster zu setzen. Vielleicht rieche ich ja auch schon so, zumindest ersten Körpergeruch kann ich nach neun Stunden auf den Beinen nicht leugnen.
Wir entschwinden in der Abendsonne, und steigen auf hindurch durch den Wolkenteppich Richtung Sibirien. Sechs Flugstunden liegen vor mir.
In einer Minute der Unaufmerksamkeit hat es mir mein Vordermann gleich getan und sich ebenfalls ans Fenster gesetzt. Innerlich fluche ich. Langsam atmend ziehe ich eine neue Waffe, indem ich meine massiven Winterschuhe ausziehe. Sie werden ihn nicht aus der Ruhe bringen. Nein, der Russe kann viel ab. Lediglich werden sie mir das eigene Atmen erleichtern.
Die Einordnung des Geruches vor mir gibt mir übrigens bei der ersten Getränkebestellung recht: Zwei kleine runde Vodkafläschchen wechseln den Besitzer.
Bei der Auswahl des Abendessens verstehe ich die Stewardess nicht sofort und frage höflich nach, ob sie Gesagtes noch einmal wiederholen könnte. Ich ernte einen harschen und genervten Tonfall. Da ich nur Fisch eindeutig verstehe, gibt es rund gepressten Lachs auf Reisbett in einer rechteckigen Aluschale. Dazu ein weiteres Tablett, welches meine Versorgung sichert. Während ich esse, lausche ich der Bordansage, die eine aktuelle Temperatur von minus 21 für Irkutsk vorhersagt.
Ich freue mich auf die Kälte und habe die Hoffnung bei meiner morgendlichen Ankunft um 5, dass ich klare sibirische Luft atmen darf.
Constanze Jantsch
Constanze_Jantsch(at)web.de
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