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Donnerstag, 12. Juli 2012

Ängstigt euch nicht!

Europa verträgt noch viele Krisen
von Heiko Wruck
Kolumne
Die Weltuntergangspropheten feiern dieser Tage wieder fröhliche Urständ. Sie behaupten, wenn wir uns weiter den Luxus leisten, eine soziale Politik anstreben zu wollen, werden wir sang- und klanglos untergehen. Und die Weissager, die diese göttliche Wahrheit verkünden, werden gut bezahlt.

Einer dieser Weltuntergangspropheten ist der Bund der Steuerzahler – jedenfalls dann, wenn er sein Lieblingswerkzeug, die Berliner Schuldenuhr, ins Feld führt. Deren letzte Ziffern drehen sich so schnell, dass das Auge des gemeinen Bürgers überfordert ist. Dieser nimmt nur eine rasant stetig steigende Staatsverschuldung wahr. Pro Sekunde sollen demnach über 2.000 Euro neue Schulden hinzukommen. Vom Baby bis zum Greis ist jeder Deutsche danach mit über 24.000 Euro staatsverschuldet. Man kann fast die Uhr danach stellen, wann das Land pleite ist. Aber müssen wir uns angesichts dieser Katastrophe wirklich Sorgen machen? Eher nicht! Denn die Schuldenuhr verhüllt mehr als sie zeigt.

Jede finanziell einigermaßen sichergestellte Hausfrau, die ihren Haushalt ehrlich und realistisch bilanziert, weiß, dass sie Soll und Haben gegeneinander verrechnen muss, wenn sie ihre tatsächliche finanzielle Situation unterm Strich finden will. Wenn also der Bund der Steuerzahler seiner Schuldenuhr eine Vermögenswachstumuhr an die Seite stellen würde, sollte sich die allgemeine Staatsverschuldung deutlich relativieren. Zwar gehören die wirklich großen Vermögen in Deutschland immer weniger natürlichen und juristischen Personen, aber deswegen werden diese Vermögen trotzdem immer größer. Wer hat Lust auf eine Wette? Ich wette, dass sich die Vermögensuhr sogar schneller dreht als die Schuldenuhr und unterm Strich sogar ein deutliches Plus raus käme, würde man die Staatsschulden gegen die Firmen- und Privatvermögen rechnen. Würde der Bund der Steuerzahler ein ehrliches Interesse an der Offenlegung der Staatsfinanzen haben, würde er noch eine dritte Messeinrichtung der Schuldenuhr an die Seite stellen: eine Transferuhr. Sie könnte zeigen, wie hoch der sekündliche und kumulierte Anteil der Finanzen ist, auf den der Staat freiwillig verzichtet. Steuergeschenke für kleine und mittlere Firmen, Großverdiener, Konzerne und (nicht zu vergessen) auch für Stiftungen, für Großerben und gut verdienende Beamte sowie Politiker. Auf Einnahmen in genau welcher Höhe verzichtet der Staat seit wie vielen Jahren beim Aufbau Ost? Wirtschaftlich trägt er sich ja noch immer nicht, der Osten. Schulden minus Vermögen gleich Ergebnis. Die Hausfrau weiß das. Und wenn sie auf ihre Kontoauszüge schaut, weiß sie auch, wohin ihr Geld gegangen ist.
Insofern scheint der Staatsbankrott entweder in weiter Ferne oder in beabsichtigter Nähe. An den Sozialleistungen hängt es jedenfalls nicht.

Mit der Bewältigung der Eurokrise verhält es sich ähnlich. Auch hier streuen uns die hoch bezahlten Scharlatane der göttlichen Weisheit Sand in die Augen.

Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Irland, Rumänien, Frankreich und Ungarn schlingern durch schwere Krisen - und Deutschland verdient recht gut daran. Solange verdient wird, gibt es auch keinen Grund, auf EU-Rettungsschirme zu verzichten. Und die Rettungsschirme sind eine sichere Bank. Hierzu eine Vereinfachung:

Ein deutscher Tourist fliegt dieser Tage nach Kreta und geht dort in eine Pension. Er legt 100 Euro als Kaution auf den Tresen und sagt, dass er die erste Nacht kostenlos Probewohnen wolle. Gefalle ihm das Zimmer, könne der Pensionsbetreiber zwei Nächte für die 100 Euro buchen und einstecken. Dann geht er die Treppe hoch.

Der Pensionsbetreiber nimmt den 100-Euroschein, geht damit schnell zu seinem Bäcker um die Ecke und bezahlt dort seine Schulden. Er hatte bereits seit längerer Zeit die frischen Brötchen anschreiben lassen.

Der Bäcker freut sich, nimmer die 100 Euro und bezahlt flugs den Fleischer aus ähnlichem Grund. So kann der Fleischer seinem Gastwirt endlich den vielen Ouzo bezahlen, den er schon ewig auf dem Deckel hat. Wenige Minuten später bezahlt der Gastwirt seine Lieblingshure, die er einmal pro Woche sieht.

Die Hure legt am Tag darauf die 100 Euro wieder bei dem Pensionsbetreiber auf den Tresen, weil er ihr über längere Zeit das Zimmer für die Touristenbetreuung nicht berechnt hatte.

Gerade als sie wieder geht, kommt der deutsche Tourist nach seiner Probenacht die Treppe runter. Er sagt, dass ihm das Zimmer nicht gefiele, steckt seine 100 Euro ein und geht.

Nun sind alle Beteiligten wieder schuldenfrei, und der Deutsche hat sein Geld nie ausgegeben.

Fazit:
Ich glaube, Europa kann sich noch viele Finanzkrisen leisten, ohne tatsächlich abzustürzen. Es wird erst wirklich ernst, wenn öffentlich bekannt wird, was die Vermögens- und die Transferuhren in den europäischen Mitgliedsländern tatsächlich unterm Strich anzeigen. Doch keine Panik, soweit wird es nicht kommen. Dafür sorgen die neoliberalen Weltuntergangspropheten ganz sicher. Ihr Lieblingsargument: schafft die sozialen Wohltaten ab – und die Welt wird genesen.

Kontakt:
Heiko Wruck
redaktion@german-circle.de
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