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Donnerstag, 10. Mai 2012

Anpassen oder sterben

In MVs Chefetagen passiert was
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Schwerin/gc. Der demografische Wandel wird in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur im zunehmend spürbar werdenden Mangel an Fachkräften, insbesondere an den jungen, sichtbar. Trotzdem gelten auch heute erfahrene Fachkräfte ab 50 plus häufig als schon zu alt für den Arbeitsmarkt. GC sprach zum Aspekt des Fachkräftemangels mit dem Schweriner Unternehmensberater Jürgen Rathje.

Befinden sich die Politiker, Unternehmer und Funktionäre des Landes in Sachen Personalbeschaffung im Tiefschlaf?
So eine Bewertung halte ich für deutlich überzogen. Da passiert schon sehr viel, aber die Aktivitäten müssen natürlich ausgebaut und koordiniert werden.
Die Löhne im Land liegen immer noch unter Bundesdurchschnitt und besondere Aktivitäten sind nicht in Sicht ...
Dass die Löhne pauschal unter dem berühmten Westniveau liegen, stimmt heute so nicht mehr. Ich kenne selbst zahlreiche Unternehmen, in denen diese Frage nicht mehr steht. Und Betriebe, die unterdurchschnittlich zahlen, werden sich mittelfristig anpassen. An Aktivitäten mangelt es ebenfalls nicht. Im Bundestag wird gerade die Neuausrichtung der Pflegeversicherung diskutiert. Und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Südwestmecklenburg mbH hat vor drei Monaten das Betreuungsportal www.betreuungsportal-swm.de online gestellt ...
... Pflege und Betreuungsleistungen haben kaum was mit Personalbeschaffung zu tun.
Das sehe ich ganz anders. Die Demografie sorgt dafür, dass die Familienangehörigen sich zum größten Pflegedienst der Nation entwickelt haben. Dadurch stehen rund 27 Prozent der Erwerbsfähigen dem Arbeitsmarkt gar nicht erst zur Verfügung. Bis zu 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden heute zu Hause betreut. Pflegende Angehörige fallen ganz oder teilweise in den Unternehmen aus. Arbeitende und (!) pflegende Familienmitglieder kämpfen täglich mit Mehrfachbelastungen. Entsprechend hoch sind die Krankenstände, die auf Stress, psychische und somatische Ursachen zurückzuführen sind. Nicht voll leistungsfähige und kranke Mitarbeiter kosten Geld. Das können ganz schnell 200 Euro pro Ausfalltag werden. Diese Erkenntnis setzt sich in den Führungsetagen durch. Manche Firmen arbeiten mit Gleit­zeiten, richten Betriebs-Kitas ein, andere zahlen Zuschüsse für Pflegedienste und so weiter.
Hat Mecklenburg-Vorpommern ein Problem?
Nicht nur die Unternehmen oder Mecklenburg-Vorpommern, sondern wir als Gesellschaft haben ein Problem. Unternehmen, die sich dem Fach­kräfte­wettbewerb nicht progressiv stellen, sterben. Insofern haben sich für sie alle Probleme geregelt. Wird die Bevölkerung älter, steigt die Zahl der Pflegebedürftigen. Mit ihr steigt die Zahl der ausfallenden Mitarbeiter. Dadurch steigen die Betriebskosten, aber die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der Gesellschaft sinkt. Die Schere geht immer weiter auseinander, weil der Fachkräftenachwuchs sinkt. Das fällt uns auf die Füße, steuern wir nicht gegen.
Was sollten Politiker und Unternehmer tun?
Es bedarf in den Betrieben klarer Mitarbeiterkonzepte mit Ausbildungs-, Karriere- und Zielvereinbarungen, guten Löhnen, sozialen Hilfen, eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements und eines guten Betriebsklimas. Politiker müssen davon weg kommen, wegen der nächsten Legislatur, Klientel­politik zu betreiben.

Bildunterschrift:
Unternehmensberater Jürgen Rathje, Kompetenzzentrum für Gesund und Ökonomie im BVMW Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
Heiko@Wruck.org
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