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Montag, 4. Mai 2015

Schneiden, waschen, trocknen: Das Rohr sitzt!

Von Ludwigslust aus den Weltmarkt erobert
von Heiko Wruck
BERICHT
Ludwigslust/gc. Im April 1990 sitz der Erfinder Ulrich Rattunde in seiner Garage im Dorf Bentwisch und grübelt über Innovationen für die Industrie. Der Maschinenbauingenieur baut Steuerungen für Großschredder, Umformpressen, Profilbohrmaschinen u.a. – alles, was die Kunden wünschen. Die Maschinen funktionieren gut, sind hoch entwickelt, aber wirtschaftlich kriegt Rattunde die Füße nicht so richtig auf den Boden.

Die fünf Mitarbeiter haben gut zu tun, trotzdem steht Rattundes Firma auf tönernen Füßen. Drei Jahre später kommt Martin Proksch, ein alter Bekannter aus der gemeinsamen Wehrdienstzeit, durch einen Zufall zu Ulrich Rattunde – wird erst sein sechster Mitarbeiter und nach kurzer Zeit Mitinhaber. Heute ist die Rattunde & Co GmbH nicht mehr in der Garage in Bentwisch, sondern auf zirka 8.000 Quadratmetern in der Ludwigsluster Bauernallee 23 ansässig. Aus den einst 5 Mitarbeitern sind 200 geworden. 20 Azubis werden zurzeit ausgebildet. Die kleine Garagenfirma hat sich nach eigener Darstellung zum Weltmarktführer entwickelt.

Auf ihrer Website, die neben Deutsch in fünf weiteren Sprachen konfiguriert ist, heißt es: „Rattunde produziert ACS Kaltkreissägemaschinen zum Trennen von Rohren, Profilen und Stangen. Alle Säge- und Bearbeitungsfunktionen werden über Servoantriebe ausgeführt. In die ACS Fertigungssysteme können integriert sein: Bürstenentgraten, Endenbearbeitung und Anfasen, Kurvenbearbeitung, Werkstückprüfungen, Werkstückmessungen, Waschen und Trocknen, Verpacken. Sonderwünsche können berücksichtigt werden.“

Auf so was muss man in seiner kleinen Dorfgarage erstmal kommen. Rattunde unterhält eine Tochterfirma in den USA und baut gerade eine Service-Niederlassung in Mexiko auf. „Die Autozulieferindustrie gehört zu unseren Zielgruppen“, sagt Geschäftsführer Martin Proksch und erklärt: „Die US-Autobauer, aber auch die deutschen Hersteller, investieren stark in Mexiko. Wenn man sich ausrechnet, dass bis zu zwei Kilometer Rohr allein in einem einzigen Auto verbaut werden, dann kann man sich unschwer vorstellen, welcher Bedarf besteht. Genau hier setzen wir mit unseren ACS Fertigungssystemen an. Die sind Spitzentechnologie für den Weltmarkt, von deutschen Ingenieuren und Technikern entwickelt und komplett in Ludwigslust gefertigt.“

Etwa dreißig Fertigungssysteme, zwischen 400.000 und 1,2 Millionen Euro teuer, liefert Rattunde pro Jahr aus und bietet dafür Entwicklung, Konstruktion, Fertigung, Montage und Kundendienst. Auch die Personaldecke ist stabil. „Der Mindestlohn ist bei uns kein Thema. Wir liegen mit unserem Haustarif weit darüber. Auf Hamburger Niveau“, sagt Proksch. Auch einen Fachkräftemangel beklagt der Unternehmer ebenso wenig wie einen Mangel an Auszubildenden. Hier jedoch mit einer kleinen Einschränkung:

„Die aktuelle Schulpolitik macht mir Sorgen. Vor fünf Jahren haben wir noch keine Gymnasiasten eingestellt, weil die sich eher für ein Studium interessiert haben. Die Realschulabsolventen hatten solides Schulwissen, auf das sich aufbauen ließ. Heute ist das anders. Der auf den Zeugnissen dokumentierte Leistungsstand reicht oft nicht einmal für eine anspruchsvolle Lehrausbildung. Die Folge ist, dass auch unter den Abiturienten die Zahl derer wächst, die Probleme mit den Naturwissenschaften und Sprachen haben. Deswegen haben wir einen Eignungstest eingeführt, um selektieren zu können.“

Das Unternehmen bietet so viele Ausbildungsplätze an wie es Übernahmemöglichkeiten gibt. Im April 2015 ist die Rattunde & Co GmbH 25 Jahre alt geworden. Zwar denken die Geschäftsführer noch nicht an die Rente, aber für die Nachfolge in der Chefetage werden jetzt schon die Weichen gestellt. „Unser Unternehmen hält bereits mehr als 20 Patente auf unsere Maschinen, und meine Schwiegertochter sowie mein Sohn arbeiten im Betrieb“, sagt Martin Proksch.

Bildunterschrift:
Martin Proksch an einem Modell eines vollständigen ACS Fertigungssystems im Maßstab 1 : 100: Besonseres Detail an diesem Modell ist Siggi, der erste Rentner des Unternehmens. Foto: Heiko Wruck

Branchen-News
● Nach Schätzungen der VDMA-Volkswirte stieg der weltweite Maschinenumsatz (ohne Serviceleistungen) 2014 in einem global unsicheren Umfeld um nominal fünf Prozent auf ein neues Rekordniveau von 2.330 Milliarden Euro.

● Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA polarisiert die Gesellschaft. Die Maschinen- und Anlagenbauer begrüßen die geplante Schaffung eines großen Wirtschaftsraums ohne Zollschranken, aber mit gemeinsamen Regularien und Standards für über 800 Millionen Menschen.

● Ein funktionierender Binnenmarkt ist eines der wichtigsten Ziele Europas. Der Maschinen- und Anlagenbau genießt die Vorteile schon seit geraumer Zeit; die Maschinenrichtlinie ist ein gutes Beispiel hierfür.

● Die direkten Folgen eines immer wieder herauf beschworenen Austritts Griechenlands aus dem Euro sind für die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer zwar überschaubar, dennoch wäre die Wettbewerbsfähigkeit von in Griechenland aktiven, deutschen Unternehmen stark beeinträchtigt

Quelle: VDMA, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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