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Montag, 22. Juni 2015

Alte Arzneien dürfen in den Hausmüll

Boizenburger Apothekerfamilie geht in zweite Generation
von Heiko Wruck
BERICHT
Boizenburg/gc. Der Pillendreher von einst hat mit dem modernen Apotheker rein gar nichts mehr zu tun. »Aber die Bezeichnung Pillendreher kommt nicht von ungefähr«, sagt der Apotheker Peter Scholz (63). In seinem Fach gehört Scholz in Boizenburg zum Urgestein seiner Zunft.


„Früher haben die Apotheker die Zutaten ihrer Präparate tatsächlich auf sogenannten Pillenbrettern verrieben und schließlich zu Arzneien zusammengedreht. Pillen gibt es aber so gut wie gar nicht mehr.“ Die Massenfertigung und neueste Technologien in der Pharmazie lassen solch ungenaue Dosierungen auch nicht mehr zu. „Damals entwickelten die Ärzte nach eigenem Ermessen Rezepturen und ließen eigens dafür die Arzneien in den Apotheken herstellen. Diese Zeiten sind längst vorbei“, ergänzt Sebastian Scholz (37) seinen Vater.

Rund 5.000 unterschiedliche Präparate und weitere Gesundheits- und Pflegeprodukte führen sie in zwei Apotheken in der Elbestadt. Da dreht man keine Pillen mehr. Die beiden staatlich geprüften Apotheker betreiben als Geschäftsführer in Boizenburg die Boize- und die Sude-Apotheke. Während die Boize-Apotheke gleich nach der Wende von Peter Scholz 1990 als neue Lebensgrundlage eröffnet wurde, ist die Sude-Apotheke mit ihrer Gründung am 4. Mai 2015 die Fortschreibung der Apotheker-Familiengeschichte in der Elbestadt und gleichsam die Erweiterung des Familienbetriebs. Senior und Junior führen beide Apotheken als Offene Handelsgesellschaft. Damit ist die Firmennachfolge in der ersten Generation klar. 

16 Mitarbeiter sind in Vollzeit beschäftigt. Der Betrieb bildet auch aus. Allerdings ist zurzeit leider kein Pharmaziepraktikant vorhanden. „Der Ausbildungsmarkt hat sich in den letzten 25 Jahren gravierend verändert“, sagt Peter Scholz und erklärt: „Die Anzahl junger Menschen ist spürbar zurückgegangen, und es zieht sie in die Großstädte. Nur wenige sehen in Boizenburg für sich eine berufliche Zukunft.“ „Hinzu kommt, dass man auch einen entsprechenden Bildungsaufwand betreiben muss“, ergänzt Sebastian Scholz. „Vier Jahre Pharmazie-Studium und ein praktisches Jahr. Damit hat man die letzte Prüfung erst nach fünf Jahren, ehe man als Apotheker seine Approbation erhält. Viele wollen schneller ins Erwerbsleben einsteigen.Wir haben uns mit der Ansiedlung der Sude-Apotheke klar für das Bahnhofsviertel entschieden, weil es hier in der Stadt die stärkste wirtschaftliche Entwicklung gibt. Hier konzentrieren sich Verkaufs- und Dienstleistungsgewerbe. Das bedeutet, dass die Menschen sehr oft hierher kommen. Da liegt der Gang zur Apotheke gleich auf dem Weg zu anderen Geschäften“, sagt Sebastian Scholz.

Der Dienst am Kunden ist dem Apothekergespann sehr wichtig. "Vor dem Online- und sonstigen Versandhandel fürchten wir uns nicht. Eine gute Apotheke lebt nicht vom massenweisen Verkauf, sondern von der höchst individuellen Beratung. Die Preisbindung bei rezeptpflichtigen Arzneien macht das Versandgeschäft oftmals auch teurer, und es fehlt die Beratung. Gute Apotheken haben zusätzlich einen kostenlosen Botendienst, der Kunden auch dann versorgt, wenn sie selbst nicht zur Apotheke kommen können", meint Peter Scholz.

In der Spezialisierung und in der Erweiterung des Servicebereichs sehen beide die Zukunft. Hautberatung, Homöopathie, Drive-In-Versorgung, naturkundliche Präparate und spezielle Angebote für die Medikation von Haustieren gehören für die beiden Boizenburger Apotheker dazu.

Bleibt eine letzte Frage: wohin mit den alten, abgelaufenen Medikamenten? Zurück zum Arzt oder zur Apotheke? "Nein", antworten beide einhellig. „Diese dürfen in den Hausmüll. Auf gar keinen Fall jedoch sollten Medikamentenreste in der Toilette landen. Dadurch wird das Grundwasser belastet und es muss ein hoher Aufwand betrieben werden, um das Wasser zu reinigen. Da ist es einfacher, Restmedikamente in den Hausmüll zu geben, der vollständig verbrannt wird.“ So richtig glücklich sind die beiden Apotheker nicht mit der derzeitigen Lösung und hoffen, dass was Besseres auf den Weg gebracht wird.

Bildunterschrift:
Die Boizenburger Apotheker Sebastian und Peter Scholz: Der im Bild stehende Autoklav wurde früher benutzt, um Stoffe keimfrei zu machen. In dem gasdicht verschließbaren Druckbehälter wurden mittels thermischer Behandlung im Überdruckbereich Stoffe und Geräte sterilisiert. Foto: Heiko Wruck

Branchen-News
● Über 300.000 Personen sind in Deutschland im Pharmahandel tätig. Davon hatten drei Viertel ihren Arbeitsplatz in Apotheken, die übrigen im Großhandel mit pharmazeutischen Erzeugnissen. Quelle: Stat. Bundesamt

● Viele Hobbysportler – zurückhaltend geschätzt 350.000 bis 400.000 in Deutschland – dopen sich, indem sie mit Anabolika ihre Muskelmasse vermehren und den Fettanteil im Körper verringern wollen. Quelle: Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen

● 2012 sind in Mecklenburg-Vorpommern (MV) mehr als 2.300 Menschen aufgrund psychischer Probleme vorzeitig aus dem Berufsleben ausgeschieden, darunter knapp mehr als 1.100 Männer und über 1.200 Frauen. Quelle: Techniker Krankenkasse

● Statistisch gesehen nahmen rund 145.000 Mecklenburger und Vorpommern 2011 Medikamente gegen erhöhte Blutfette (Lipidsenker) ein. Zehn Jahre zuvor verordneten die niedergelassenen Ärzte den gesetzlich Versicherten im Nordosten knapp 79.000 Tagesdosen. Damit hatte sich der Verbrauch in Mecklenburg-Vorpommern innerhalb eines Jahrzehnts fast verdoppelt. Quelle: Techniker Krankenkasse

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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