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Montag, 18. Januar 2016

Das schwarze Auge verhindert nichts

Wir werden immer angreifbarer
von Heiko Wruck
BERICHT
Rampe/gc. Smart Watch, Smart Car, Smart TV, Smart Home, Smart City, Smart Gird – das ist Totalüberwachung in Echtzeit. Überwachungstechnik ist eine Herrschaftstechnologie.


Ob Kameras in Bussen und Bahnen, Bundestrojaner auf Privat- und Firmencomputern, Überwachungs-Apps in Handys, Fitness-Armbänder an Handgelenken oder protokollierte Recherchen in Suchmaschinen – sie haben alle eines gemeinsam: In keinem Fall verhindern sie etwas. Sie unterbinden keine Straftaten, sie verhindern keinen Herzinfarkt, sie wehren keinen Angriff ab. Trotzdem sind wir von Überwachungstechnik umgeben wie nie zuvor. Und wir werden immer angreifbarer.

Je weiter die Technik in die Tiefen des Privatlebens vordringt, umso angreifbarer wird der Einzelne. Dabei muss noch nicht einmal kriminelle Energie eine Rolle spielen. Es braucht nur Naivität. Ein lustiges Foto oder ein Video von der Party oder vom Nacktstrand verbreitet sich wie ein Lauffeuer im Internet und ist kaum zurückzuholen. Ein unliebsamer Post in einem Sozialen Netzwerk kann einen Shitstorm oder einen Massenbesuch von ein paar Tausend Leuten zu Hause zur Folge haben. Kommen böse Absichten hinzu, wird man schnell das Ziel von Cybermobbing, Hass-Postings und tätlichen Angriffen, wenn die Identität ermittelt werden kann.

Es kam bereits vor, dass das Foto eines Tatverdächtigen einer Sexualstraftat tausendfach virtuell verbreitet wurde und sich der Abgebildete vor einem Lynchmob in eine Polizeistation flüchten musste. Erst später stellte sich heraus, dass der junge Mann unschuldig war. Und dann gibt es noch jene, die mit krimineller Energie ganz gezielt im Web unterwegs sind.

Solche Tatorte im Internet sind beispielsweise Tauschbörsen, Blogs, gefälschte Internetseiten seriöser Anbieter, Kommunikationsforen, Videoplattformen und soziale Netzwerke. Die Schwerpunkte der Straftaten liegen in den Bereichen Waren- und Kreditbetrug, im Ausspähen, Abfangen oder Fälschen von Zugangsdaten und persönlichen Informationen, Computersabotage bis hin zur Erpressung und Softwarepiraterie. Auch  Kinderpornografie ist nicht zu vernachlässigen.

Internetkriminalität ist ein gigantischer Zukunftsmarkt mit rasentem Wachstum. Dieses Wachstum speist sich aus vier Quellen: der kriminellen Energie, der Lücke vor dem Nachziehen der Sicherheitstechnologie, der Unbedarftheit der User sowie immer neuen Sicherheitslücken durch die technische Weiter- und Neuentwicklung von Hard- und Software.



„So ganz wehrlos sind wir als Gesellschaft allerdings nicht“, sagt Synke Kern. Die Pressesprecherin des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern (LKA) nennt zwei Bereiche: Computerkriminalität und Tatmittel Internet, die beide unter dem Oberbegriff Cybercrime geführt werden. „Bei der Computerkriminalität haben wir eine Aufklärungsquote von etwa 55 Prozent. Beim Tatmittel Internet sind’s zirka 80 Prozent. Aber das Dunkelfeld dieser Straftaten ist erheblich größer.“

Das Tatmerkmal bei der Computerkriminalität ist die elektronische Datenverarbeitung. Hier werden Daten abgefangen, ausgespäht, gefälscht, Softwarepiraterie betrieben und Computer sabotiert. Zum Tatmittel Internet zählen Delikte, bei den das Medium Internet unabdingbar ist: Schadprogramme, gefälschte Internetseiten, gefährliche Links, schädliche E-Mails et cetera.

Die LKA-Frau ist immer wieder darüber erstaunt, dass Web-User und Computerbenutzer oft leichtfertig und unbedarft mit Kommunikationstechnik umgehen. „Da werden dubiose E-Mails geöffnet, nur weil ein Gewinnversprechen offeriert wird oder unaufgeforderte Bewerbungsunterlagen per Link heruntergeladen werden sollen. Es werden Scherz-Mails bedenkenlos verbreitet, Mahnschreiben angeklickt, fragwürdige Links, Fotos und Videos per Smartphone versandt. Viele Nutzer besuchen zweifelhafte Tauschbörsen, Erotikseiten, Onlinespiele – ohne sich auch nur ansatzweise zu fragen, ob es Risiken gibt“, sagt Synke Kern.
Der Klassiker: In einem Sozialen Netzwerk wird das Foto eines vermeintlichen Straftäters verbreitet. Wer solch ein Bild weiterverbreitet, macht sich strafbar, denn bis zur Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Wer sich durch die vermeintliche Anonymität seines Alias-Namens im Internet sicher fühlt, liegt falsch.

„So wurde beispielsweise von den Behörden eines anderen Staates ein Host sichergestellt, über den Kinderpornografie vertrieben wurde. Die IP-Adressen der Kunden wurden gesichert und den Herkunftsstaaten zugeordnet. In Deutschland kommen diese zum Bundeskriminalamt, das die Adressen den Bundesländern zuordnet. Dort arbeiten LKA-Mitarbeiter mit diesen Adressen weiter. Solche Vorratsdaten führen per richterlicher Erlaubnis zu Ermittlungen. In der Regel sind die Beamten auf Anzeigen angewiesen.“

1999 wurde im LKA Mecklenburg-Vorpommern eine „Ermittlergruppe Internet“ eingerichtet. Daraus entstand 2011 das „Dezernat Cybercrime“. Wer in Sozialen Netzwerken angegriffen oder Opfer von Cybermobbig wird, wer Web-Betrügern auf den Leim geht oder im Unternehmen Datenspionage vermutet, kann sich beispielsweise an die Adresse www.polizei.mvnet.de wenden. Ein Screenshot des angezeigten Sachverhalts ist immer hilfreich. Tatsache bleibt: wo kein Kläger, da kein Richter.

             Cybercrime                                  davon Verbreitung
   in Mecklenburg-Vorpommern            pornografischer Inhalte
  
        2005 = 1.888 Fälle                                364 Fälle
        2006 = 2.077 Fälle                                385 Fälle
        2007 = 1.918 Fälle                                197 Fälle
        2008 = 1.881 Fälle                                375 Fälle
        2009 = 3.686 Fälle                                202 Fälle
        2010 = 4.853 Fälle                                123 Fälle
        2011 = 5.304 Fälle                                117 Fälle
        2012 = 4.968 Fälle                                112 Fälle
        2013 = 7.025 Fälle                                144 Fälle

   Seit 2014 werden nur noch die Straftaten in der Kriminal-
   statistik des Landes erfasst, bei denen sich der Tatort in
   Deutschland befindet.

         2014 = 4.530 Fälle                                285 Fälle

Bildunterschrift 1:
Überwachungstechnik protokolliert nur, doch sie verhindert nichts. Foto: Heiko Wruck

Bildunterschrift 2:
Synke Kern: »Im Netz gelten die gleichen Sicherheitsaspekte wie außerhalb des Internets: zum Beispiel keine Vorkassengeschäfte mit Unbekannten, keine unbekannten Links anklicken, keine E-Mails von dubiosen Absendern öffnen.« Foto: Heiko Wruck

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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