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Mittwoch, 3. Februar 2016

Zehnjähriger an Grenze erschossen

Hary Krause starb, weil er Eislaufen wollte
... von Heiko Wruck
BERICHT

Groß Thurow/gc.
Ein Schuss bricht und zerreißt das Kinderlachen. Hary Krause wankt ein paar Meter weiter. Dann bricht der Zehnjährige weinend zusammen und stirbt. Er war im Herzen getroffen.

Harys Vater kann erst zwei Tage später den Leichnam seines Sohnes nach Hause holen. Er zieht ihn mit einem Schlitten über das Eis des Goldensees, auf dem sein Sohn gestorben war, und bringt ihn nach Hause – nach Groß Thurow.

Hary war nach Schulschluss mit anderen Kindern und Jugendlichen aus Groß Thurow am 31. Januar 1951 zum Eislaufen auf den Goldensee gegangen. Dessen Westufer stellte die damals noch offene Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR dar. Ein neuer DDR-Grenzpolizist. Gerade einmal 18 Jahre jung, verrichtete an diesem 31. Januar 1951 dort seinen Dienst. Aus seiner Waffe löste sich der Schuss, der das Kind tötete.

Hary war nach Schulschluss mit anderen Kindern und Jugendlichen aus Groß Thurow am 31. Januar 1951 zum Eislaufen auf den Goldensee gegangen. Dessen Westufer stellte die damals noch offene Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR dar. Ein neuer DDR-Grenzpolizist. Gerade einmal 18 Jahre jung, verrichtete an diesem 31. Januar 1951 dort seinen Dienst. Aus seiner Waffe löste sich der Schuss, der das Kind tötete.

Harys Familie wollte sich nicht mit Schweigegeld von der DDR-Führung abfinden lassen. Auch Drohungen hielten sie nicht davon ab, die Aufklärung der Todesumstände ihres Jungen sowie die Bestrafung des Grenzers zu fordern. Deswegen wurde die Familie 1952 aus Groß Thurow (bei Ratzeburg) zwangsausgesiedelt und kam in die Nähe von Neubrandenburg. Der DDR-Grenzer wurde mit zehn Tagen Arrest bestraft und versetzt.

Erst nach der Wiedervereinigung wurde der Fall neu aufgerollt. Eine vorsätzliche Tötungsabsicht wurde dem einstigen DDR-Grenzpolizisten nicht nachgewiesen. Es steht die Behauptung im Raum, der Grenzer sei mit entsichertem Gewehr auf das Ufer des Goldensees zugelaufen. Dabei habe sich der Schuss versehentlich gelöst.

Hary Krause war das jüngste Opfer von insgesamt 29 Menschen, die zwischen 1945 und 1989 an dieser Grenze zwischen Elbe und Lübecker Bucht getötet wurden. Die Politikwissenschaftlerin Dr. Sandra Pingel-Schliemann hat Harys Schicksal in ihrem Buch »Ihr könnt doch nicht auf mich schießen – Die Grenze zwischen Lübecker Bucht und Elbe1945 - 1989« aufgearbeitet. Am vergangenen Sonntag, 31. Januar 2016, wurde für Hary Krause 65 Jahre nach seinem Tod – nur wenige hundert Meter von seinem Sterbeort entfernt – in Groß Thurow am Goldensee ein kleines Denkmal eingeweiht.

Der Künstler Götz Schallenberg hat das stilisierte Kind im Augenblick tödlichen Getroffenseins in Metall festgehalten. Der kleine Einschuss am Herzen zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Für die Schaffung dieses Mahnmals hatten Abiturienten der Freien Waldorfschule Schwerin aus ihrem Theaterstück „Das Experiment“ einen Teil der Erlöse für Hary Krauses Denkmal gestiftet. Das Mahnmal befindet sich auf dem Gelände der Begegnungsstätte des Vereins Alte Schule e.V. in Groß Thurow am Goldensee.

65 Jahre nach Hary Krauses Tod forderten die AfD-Politikerinnen Frauke Petry und Beatrix von Storch den Schusswaffeneinsatz an der deutschen Grenze – ausdrücklich auch gegen Kinder.

Bildunterschrift:
Der Künstler Götz Schallenberg weist auf den Einschuss, am Mahnmal für Hary Krause. Der Zehnjährige wurde am 31. Januar 1951 beim Eislaufen auf dem Goldensee von einem Achtzehnjährigen DDR-Grenzpolizisten erschossen. Foto: Heiko Wruck

Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik
vom 25. März 1982
IV. Abschnitt
Befugnisse der Grenztruppen der DDR
„§ 27. Anwendung von Schußwaffen
(1) Die Anwendung der Schußwaffe ist die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen. Die Schußwaffe darf nur in solchen Fällen angewendet werden, wenn die körperliche Einwirkung ohne oder mit Hilfsmitteln erfolglos blieb oder offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Die Anwendung von Schußwaffen gegen Personen ist erst dann zulässig, wenn durch Waffenwirkung gegen Sachen oder Tiere der Zweck nicht erreicht wird.

(2) Die Anwendung der Schußwaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt. Sie ist auch gerechtfertigt zur Ergreifung von Personen, die eines Verbrechens dringend verdächtig sind.

(3) Die Anwendung der Schußwaffe ist grundsätzlich durch Zuruf oder Abgabe eines Warnschusses anzukündigen, sofern nicht eine unmittelbar bevorstehende Gefahr nur durch die gezielte Anwendung der Schußwaffe verhindert oder beseitigt werden kann.

(4) Die Schußwaffe ist nicht anzuwenden, wenn
a) das Leben oder die Gesundheit Unbeteiligter gefährdet werden können,
b) die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind oder
c) das Hoheitsgebiet eines benachbarten Staates beschossen würde.

Gegen Jugendliche und weibliche Personen sind nach Möglichkeit Schußwaffen nicht anzuwenden.

(5) Bei der Anwendung der Schußwaffe ist das Leben von Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung, der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen.“

Kontakt:
heiko.wruck@t-online.de
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