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Mittwoch, 8. November 2017

Anschlag in Kabul

Journalisten sind nirgends in Afghanistan sicher
Redaktion: Reporter ohne Grenzen
PRESSEMITTEILUNG
Berlin/gc. Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt den Angriff vom 7. November 2017 auf den Fernsehsender Schamschad TV in der afghanischen Hauptstadt Kabul auf das Schärfste.


„Dieser feige Angriff zielte direkt auf das Menschenrecht aller afghanischen Bürger, sich frei zu informieren“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Gewalt gegen Journalisten ist in Afghanistan traurige, aber alltägliche Realität. Dieser Anschlag in der Hauptstadt zeigt, dass Medienschaffende nirgends im Land sicher sind. Die afghanische Regierung muss Journalisten endlich wirksam vor der zunehmenden Gewalt schützen. Es darf den Extremisten nicht gelingen, Afghanistans Medien zum Schweigen zu bringen.“

Nach Polizeiangaben gab es gegen 10 Uhr Ortszeit zunächst eine Explosion am Eingang des Fernsehsenders; dabei seien zwei Wachleute getötet worden. Anschließend stürmten mehrere Angreifer das Gebäude und schossen auf Mitarbeiter, von denen laut dem Sender 20 verletzt wurden. Erst nach rund zwei Stunden bekamen die Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle. Der Sendebetrieb wurde zeitweise eingestellt. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag über ihre Agentur Amak für sich; die Taliban erklärten, sie hätten nichts mit der Tat zu tun (http://ogy.de/8k6k).

Schamschad TV ist ein 2004 gegründeter, paschtusprachiger Privatsender. Sein Sitz war schon bei dem schweren Anschlag nahe der deutschen Botschaft am 31. Mai 2017 beschädigt worden.

2017 SCHON ACHT MEDIENSCHAFFENDE GETÖTET
Afghanistan gehört zu den gefährlichsten Ländern weltweit für Journalisten. Seit Jahresbeginn wurden dort mindestens acht Medienschaffende in direktem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit getötet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Land auf Platz 120 von 180 Staaten.

Am 12. Oktober 2017 beschossen Bewaffnete in der nordafghanischen Stadt Baghlan den Direktor des lokalen Fernsehsenders Tanwir TV, Schir Mohammad Jahesch, als er die Redaktion verließ. Jahesch wurde leicht verletzt, sein Leibwächter getötet (http://ogy.de/ihog).

Mitte Mai 2017 starben vier Mitarbeiter der staatlichen Rundfunkgesellschaft durch einen Anschlag auf ein Gebäude des Senders in der ostafghanischen Provinzhauptstadt Dschalalabad: Abdollatif Amiri, Mohammad Amir Chan Schinwari, Naghdi Ghani und Seinollah Chan Mollachil (http://t1p.de/qp5r). Zu dem Angriff bekannte sich der IS.

Im Januar 2017 starben bei einem Doppelanschlag auf das Parlament in Kabul ein Kameramann und eine Mitarbeiterin des parlamentarischen Fernsehsenders. Zwei weitere Mitarbeiter des Senders und ein Journalist der Wochenzeitung Kerad wurden verletzt. Die Taliban bekannten sich zu der Tat (http://t1p.de/yscu).

Bei dem Anschlag im Kabuler Diplomatenviertel am 31. Mai 2017 wurden ebenfalls zwei Medienschaffende getötet: Asis Nowin, ein IT-Techniker des afghanischen Nachrichtensenders Tolo News, und Mohammad Nasir, ein Fahrer der britischen BBC. Die schwere Detonation verletzte zudem vier BBC-Journalisten und zwei des afghanischen Fernsehsenders TV1 (http://t1p.de/pk8o). Neben dem Gebäude von Schamschad TV wurden auch die Hauptsitze von TV1 und der Mediengruppe Killid schwer beschädigt (http://ogy.de/4k21).

Auch bei Demonstrationen sind Journalisten immer wieder Gewalt ausgesetzt. Diese geht sowohl von Demonstranten als auch von Sicherheitskräften aus (http://ogy.de/hye0).

STEIGENDE ZAHL VON NOTHILFE-ANFRAGEN
2016 wurden in Afghanistan mindestens zehn Medienschaffende wegen ihrer Arbeit getötet. ROG zählt die Taliban und den IS zu den weltweit größten Feinden der Pressefreiheit (http://t1p.de/kd9g).

Die Zahl der Journalisten aus Afghanistan, die sich mit der Bitte um Unterstützung an das ROG-Nothilfereferat wenden, war schon 2016 deutlich gestiegen. Momentan steht ROG mit 13 afghanischen Journalisten in Kontakt.

Trotz der seit Jahren katastrophalen Sicherheitslage im Land lehnten die deutschen Behörden 2014 den Asylantrag einer von ROG unterstützten afghanischen Journalistin ab. Als Begründung gaben sie an, sie könne ihren Beruf aufgeben, dann sei sie in ihrem Land sicher. Am Mittwoch, 8. November 2017, wird das Folgeverfahren vor dem Verwaltungsgericht Cottbus verhandelt.

Für Journalistinnen ist die Lage in Afghanistan besonders schwierig. Neben den Sicherheitsrisiken stehen sie unter starkem sozialem Druck einer extrem patriarchalischen Gesellschaft sowie oft von auch ihrer eigenen Familien. Anfang März 2017 hat Reporter ohne Grenzen in Kabul ein Zentrum für den Schutz von Journalistinnen eröffnet. Unter der Federführung der bekannten afghanischen Journalistin Farida Neksad setzt es sich für die Sicherheit von Frauen in Medienberufen ein (http://t1p.de/5muh). Von Mai bis August war die afghanische Journalistin Shahllah Shaiq im Rahmen des dreimonatigen Auszeit-Stipendiums zu Gast bei Reporter ohne Grenzen in Berlin (http://ogy.de/488d).

Weitere Informationen zur Lage der Medienschaffenden in Afghanistan finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/afghanistan

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