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Dienstag, 1. Mai 2018

Der will nicht spielen – Hunde außer Kontrolle

Offiziell führt MV keine Hundebeißstatistik
... von Heiko Wruck
BERICHT
Neuburg/gc. In Hannover hat ein Hund zwei Menschen getötet. Ein anderer Hund tötete ein sieben Monate altes Baby durch einen Biss in die Fontanelle. Beide Tiere waren Familienhunde. Dies sind nur zwei Vorfälle, die bisher in diesem Jahr in der Bundesrepublik Schlagzeilen machten.


Doch jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen drei und vier Menschen, weil sie von Hunden gebissen oder angesprungen wurden. Die Verletzungen, die durch Hunde verursacht werden, gehen in die Tausende pro Jahr. Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben Hundehalter ihre Tiere oft nicht unter Kontrolle – tausendfach pro Jahr kommt es zu Konflikten. Details, die die Quantität und die Qualität von Mensch-Hund-Konflikten erfassen und damit die Gesamtsituation erhellen würden, gibt es zumindest offiziell nicht. So braucht sich auch niemand von staatlicher oder kommunaler Stelle zu rechtfertigen. Das Problem haben immer nur die Opfer. Und sie fühlen sich allein gelassen.

Kein Schutz vor gefährlichen Hunden
Ein Mensch die Hölle, an Hilfe ist nicht zu denken
Wie viele Hundeangriffe gibt es in Mecklenburg-Vorpommern pro Jahr – mit wie vielen getöteten Personen, mit wie vielen verletzten Menschen, mit wie vielen verletzten Hunden und mit wie vielen durch Hunde getöteten Hunden? MVs Innenministerium hat darauf keine Antwort. Unter einem Angriff eines Hundes versteht die Landesregierung das Beißen, die Gefährdung sowie das Anspringen von Menschen in gefahrdrohender Weise. Von 2012 bis 2017 wurden 1555 Vorfälle registriert, so das Innenministerium. Eine detailliertere Aufschlüsselung liege dem Innenministerium nicht vor. Ein namenloses Opfer von Hundeattacken lebt im Landkreis Nordwestmecklenburg. Die Person musste von 2016 bis zum Januar 2018 sieben Hundeangriffe erdulden. Zerrissene Kleidung, eine schwere Verletzung des eigenen Kleinhundes, schmerzhafte Bisswunden, eine dreimonatige Krankschreibung, eine Medikation sowie ein Angsttrauma waren bisher die Folgen. Schutz gegen die Hunde: Fehlanzeige. Hilfe gab’s bisher nicht: weder vom Amt Neuburg, das seit Anfang September 2017 von dem Problem weiß, noch von der Polizei, die bereits drei Vorgangsnummern dazu führt, und auch nicht von der Staatsanwaltschaft, die kein öffentliches Interesse sieht. Diesem Menschen kann jeden Tag aufs Neue passieren, von immer den selben Hunden – einzeln oder zu dritt – angegriffen und verletzt zu werden. Welche Möglichkeiten bleiben hilflosen Opfern, wenn der Staat schon bei der Unterbindung banaler Hundeangriffe versagt?

Niemand hilft mir wirklich
„Es ist ein Horror, aus dem Haus zu gehen. Ständig muss ich damit rechnen, von einem oder drei großen Hunden angegriffen zu werden. Immer von den selben Tieren: an der Haustür, auf der Straße, in meinem Garten. Mein kleiner Hund, der ständig angeleint ist, wurde Opfer eines dieser Hunde und konnte nur mit einer Notoperation gerettet werden. Ich selbst wurde schwer verletzt. Zuletzt war ich drei Monate lang krankgeschrieben. Ich habe ständige Angstzustände. Die Hundebesitzer haben sich bis heute nicht bei mir entschuldigt und tun so, als hätte ich ihre Hunde gebissen. Vom zuständigen Amt Neuburg gibt es keinerlei Hilfe, sondern nur warme Worte. Die Staatsanwaltschaft teilt mit, dass sie das alles nichts angeht, und die Polizei verwaltet auch nur die Vorfälle. Niemand hilft mir wirklich.“ Das ist das Re­sü­mee eines Menschen, der seit insgesamt vier Jahren von immer den selben aggressiven Hunden angegriffen wurde, weil deren Besitzer ihre gefährlichen Tiere nicht unter Kontrolle haben. Das Amt Neuburg hat die Hundebesitzer beauflagt, die Hunde angeleint zu führen und ihre Gärten so zu sichern, dass die Hunde die Grundstücke nicht verlassen können. Doch der vom Amt als sicher eingestufte Zaun ist zu niedrig und weich. Er bietet keinen wirklichen Schutz vor großen angreifenden Hunden. Auch eine Leine ist schon gerissen oder die Person, die den Hund geführt hat, war zu schwach, um den Angriff des Tieres zu unterbinden. Der nächste gefährliche Hundeangriff ist nur eine Frage der Zeit. Es habe auch einen Hundeangriff auf eine ältere Dame gegeben. Aber die habe den Vorfall nicht gemeldet. „Hier sind oft Kinder unterwegs. Das mag ich gar nicht weiterdenken ... Ich weiß bis heute nicht, ob das Amt Neuburg einen Wesenstest für die Hunde angeordnet hat oder ob die Eignung der Hundehalter überprüft wurde. Wenn wieder was passiert, soll ich mich melden.“

Namenlose Opfer 
Eine Todesstatistik auf Bundesebene
Schwerin/sb. Jedes Jahr werden in Deutschland mehrere Tausend Menschen durch Hunde verletzt. Doch eine einheitliche Beißstatistik gibt es in Deutschland nicht. Die Bundesländer entscheiden selbst, ob sie überhaupt eine Beißstatistik führen, wie detailliert sie ist – und ob sie sie veröffentlichen. Für Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung ist dieses Thema derart brisant, dass die Zahlen unter Verschluss gehalten und detaillierte Angaben offiziell gar nicht erhoben werden. Das Statistische Bundesamt führt seit 1979 eine Statistik, bei denen Hunde Menschen zu Tode gebracht haben. Ob der Tod durch Beißen oder Gestoßenwerden (zum Beispiel von einem Fahrrad) herbeigeführt wurde, spielt dabei keine Rolle. Tot ist tot. 2015 wurden bundesweit fünf Personen durch Hunde getötet – darunter eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommern (45 - 50 Jahre alt). Für 2016 verzeichnete nur die Deutsche Post bundesweit 1.819 gefährliche Vorfälle mit Hunden. Bei 850 Attacken waren die Verletzungen so gravierend, dass die Opfer mindestens einen Tag ausfielen. Bei 537 Vorfällen waren es mehr als drei Tage. Ebenfalls für 2016 wurden allein (!) in der Techniker Krankenkasse bundesweit 3.628 Hundeattacken registriert. Im Jahr 2017 waren es 3.968.

Kein Leinenzwang 
Hunde in Mecklenburg-Vorpommern
Die Hundehalterverordnung Mecklenburg-Vorpommerns verbietet es, Hunde außerhalb des befriedeten Besitztums ohne Aufsicht frei laufen zu lassen. Das bedeutet nicht, dass sie angeleint sein müssen. Eine konkrete Anleinpflicht besteht ganzjährig nur im Wald – außer für den bestimmungsgemäßen Einsatz von Dienst- und Jagdgebrauchshunden (Landeswaldgesetz MV)  – und wenn die Hunde zu Versammlungen, Umzügen, Volksfesten, sonstigen öffentlichen Veranstaltungen sowie an Orte mit großen Menschenansammlungen und in öffentliche Verkehrsmittel, Verkaufsstätten oder Tiergärten mitgenommen werden. Wer also im Wald als Spaziergänger mit seinem Hund unterwegs ist, hat diesen ganzjährig anzuleinen. Natürlich müssen Hundeführer  körperlich und geistig in der Lage sein, den Hund jederzeit so zu beaufsichtigen, dass Menschen, Tiere oder Sachen nicht gefährdet werden. Außerhalb befriedeter Umgebungen müssen Hunde in Mecklenburg-Vorpommern ein Halsband mit Namen und Wohnanschrift des Hundehalters oder eine gültige Steuermarke tragen. Hunde sie sind so zu halten, dass sie ein befriedetes Areal (Hof, Garten, Grundstück et cetera) nicht gegen den Willen des Hundehalters verlassen können.

Bildunterschrift 1:
Wenn der Hund über Flucht, Vorangehen oder Angriff allein entscheidet, haben Menschen ein Problem. Foto: Heiko Wruck

Bildunterschrift 2:
Diese Wunde wurde im Januar 2018 durch den Biss eines Schäferhundes verursacht und im April 2018 fotografiert. Ein Stück der Wade wurde herausgerissen. Drei Monate nach der Hundeattacke ist die Bisswunde noch immer nicht vollständig verheilt. Foto: Heiko Wruck

Chronologie
16. Oktober 2014:
Der Schäferhund sprang über den Zaun, zerriss meine Kleidung. Keine Polizei wegen Nachbarn geholt
12. Mai 2015:
Der Schäferhund lief mit alkoholisiertem Herrchen außerhalb des Grundstückes frei und griff sofort an. Kleidung wurde zerrissen
7. Juli 2016:
Urplötzlich überfielen mich im Garten drei Hunde, bissen mich, zerrissen die Kleidung. Polizei holte Notarzt
23. März 2017:
Schäferhund fiel mich an der Haustür an. Mein Kleinhund wurde verletzt, Kleidung zerrissen. Die Polizei kam, Anzeige erstattet.
14. Juni 2017:
Der Schäferhund riss sich von der Leine seines alkoholisierten Herrchens, verletzte meinen Hund schwer und biss  mich ebenfalls. 
30. November 2017:
Zwei Hunde griffen mich erneut im eigenen Garten an.
25. Januar 2018:
Angriff des Schäferhundes: 3 Monate krank

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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