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Mittwoch, 15. April 2020

Gereizter und aggressiver

Telefonseelsorge in der Corona-Pandemie
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Schwerin/gc. In Krisenzeiten haben Menschen einen erhöhten Kommunikationsbedarf. Sie suchen Nähe und Austausch. Auch in der Coronakrise ist das nicht anders. Die Leiterin der Telefonseelsorge Schwerin, Uta Kause, erklärt im Gespräch, wie die Arbeit der ehrenamtlichen Telefonseelsorger unter erschwerten Bedingungen praktisch läuft.


Mit wie vielen Kollegen sind Sie aktuell im Einsatz?
Die Zahl der ehrenamtlichen Telefonseelsorgenden ist in Schwerin auf 109 gestiegen. Zwar fallen auch bei uns Kollegen aus Gründen der Selbstfürsorge aus, aber Ehemalige meldeten sich zurück und stellen sich zur Verfügung. Zusätzlich unterstützen uns Pastorinnen, Pastoren und Priester, sodass wir für viele Anrufende ein offenes Ohr haben können.

Funktioniert die Telefonseelsorge auch im Homeoffice?
Nein, dafür muss man in die Dienststelle nach Schwerin kommen. Nur hier ist sichergestellt, dass die Anonymität der Anrufenden gewahrt wird. Dies hilft auch den Seelsorgern, die Sorgen der Anderen nicht mit nach Hause zu nehmen.

Wie halten die Telefonseelsorger Abstand im Büro?
Im Dienst wahren die Mitarbeiter räumliche, jedoch keine emotionale Distanz zueinander. Wir haben zwei getrennte Diensträume. Jeder Telefonseelsorger desinfiziert bei Schichtbeginn seinen Arbeitsplatz. Dienstübergaben erfolgen am Telefon oder in räumlicher Distanz. Zu dienstrelevanten Inhalten gesellt sich immer auch die Frage: Wie geht es dir? So hören beide voneinander und teilen ihre eigenen Geschichten, bevor sie sich den Sorgen der Anrufenden zuwenden.

Rufen in der Coronakrise mehr Menschen an als sonst?
Der Gesprächsbedarf der Menschen ist enorm hoch. Ungefähr 60 Gespräche führen wir derzeit jeden Tag in Schwerin. Manchmal müssen die Menschen mehrfach anrufen, bis sie eine freie Leitung erwischen.

Rufen mehr Ältere und Alleinstehende an? Oder wer sonst?
Am Telefon und im Chat erreichen uns Menschen aus allen Alters- und Berufsschichten. Der Schwerpunkt liegt am Telefon bei älteren Anrufenden um die 65 Jahre und im Chat bei den Jüngeren um die 30 Jahre. 71 Prozent der Menschen, die uns kontaktieren, sind alleinlebend.

Welche Anrufgründe sind gegenwärtig die häufigsten?
Die Anrufenden sind stark verunsichert, berichten von problematischen Bewältigungsstrategien wie langes Grübeln, in den Tag hin­einleben, das Verschieben wichtiger Dinge. Die Menschen sind gereizt und spürbar aggressiver. Fast die Hälfte aller Anrufe betrifft die aktuelle Situation der Pandemie. Die Einsamkeit liegt den Anrufenden schwer auf der Seele. Viele rufen an mit dem Hintergrund von gesundheitlichen, finanziellen und sozialen Ängsten. Andere haben Perobleme mit der Alltagsstrukturierung und der familiären Situation.

Wie helfen Sie am Telefon?
Zuhören und Zeit haben. Dadurch entsteht eine Verbundenheit, die emotional stützt und Halt gibt. Wir überlegen mit den Anrufenden, wie es weitergehen soll, welche die nächsten Schritte sein können. Manchmal verweisen wir auf weiterführende Angebote wie Einkaufshilfen, spezielle Beratungstelefone und Unterstützungsmöglichkeiten.

Bildunterschrift:
Uta Krause: Die Einsamkeit lastet Anrufern auf der Seele. Foto: Wruck

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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