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Mittwoch, 6. Juli 2022

Europa fällt

... von Heiko Wruck
ESSAY
Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Europa in der Welt nichts mehr gilt – nicht als Handelszentrum, nicht als Militärmacht und schon gar nicht als Friedensstifter. Europa ist bedeutungslos geworden.

Politik wirkt immer langfristig. In den zurückliegenden 500 Jahren hat Europa mittels seiner technologischen Überlegenheit die ganze Welt dominiert. Diese Überlegenheit speiste sich aus der kolonialen Eroberung anderer Länder sowie aus der Unterdrückung und aus Ausbeutung der Menschen dort und ihrer Ressourcen. Bis in die 1970-er Jahre hinein hat sich die Welt von diesem kolonialen Europa befreit. An seine Stelle traten „Der freie Westen“ mit seiner Führungsmacht USA auf der einen und der „Der Ostblock“ mit seiner Führungsmacht Sowjetunion auf der anderen Seite. Beide Blöcke waren noch stark kolonialistisch geprägt.

Während der Westen seine Hinterhöfe in Südamerika, Asien und Afrika verlor, implodierte der Ostblock. Zurück blieben zwei Rümpfe: Westeuropa mit einem zentralen Nervensystem in Übersee. Und Osteuropa mit einem abgeschnittenen Kopf in Moskau. West- und Osteuropa schweben seither ohne echte Bindungen in einem ansonsten leeren Raum. Die europäischen Staaten kollidieren wieder öfter miteinander, während die ehemaligen Machtzentren von außen immer neue Einwirkungen auf das Gespinst loslassen: Jugoslawienkrieg, Irak, Afghanistan, Syrien, Iran – und nun die Ukraine. Gestaltungsmacht und Gestaltungswillen haben die Europäer längst nichts mehr. Stattdessen sind sie nur noch ein Spielball zwischen den alten und neuen Machtzentren der Welt. Die sortieren sich gerade neu.

China dominiert mittlerweile Asien. Indien liebäugelt gleichermaßen mit China und Russland. Und auch die aufstrebenden Staaten Südamerikas suchen den Schulterschluss mit China und Russland. Der Ukrainekrieg interessiert dort auf politischer Ebene niemanden. Und Afrika wird nicht gefragt.

Während der Krieg wieder nach Europa zurückgekehrt ist, schließt der Westen Russland aus dem internationalen Zahlungssystem aus und sich selbst von der Versorgung mit russischen Rohstoffen ab. Die USA haben dies nicht getan. Und auch Asien bezieht so wie der Rest der Welt russische Ressourcen.

In 10 oder 20 Jahren werden sich die neuen Machtgefüge auf dem Globus eingerüttelt haben. Europa – West und Ost gleichermaßen – wird nicht dabei sein. Der alte Kontinent wird allenfalls einen temporären unbedeutenden Platz an den Katzentischen der neuen Machtblöcke finden. Dort wird Europa irrlichtern, wo es gerade nützlich ist. In den kommenden 10 oder 20 Jahren wird der Kampf um Afrika vollends ausbrechen.

Stattfinden wird dieser Kampf um Afrika zwischen dem euro-asiatischen Machtblock China-Indien-Russland mit ihren Verbündeten in Südamerika und den USA, Kanada und ihren Verbündeten im Nahen Osten.

Wie dieser Kampf schließlich enden wird, ist unklar. Zwei Dinge sind jedoch sicher: Europa wird keine Rolle spielen, denn Europa fällt.

Kann Europa eine Zukunft haben? Ja. Mit Russland an seiner Seite. Durch den verbrecherischen Krieg, den Putin zu verantworten hat, ist Europa derzeit von jedweder Perspektive abgeschnitten. Bleibt zu hoffen, dass die heutigen Politiker die Weichen so stellen, dass es auch nach Putin wieder eine konstruktive Zusammenarbeit mit Russland geben kann. Politik wirkt immer langfristig.

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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