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Montag, 8. Januar 2024

Der zarte Spross der Katastrophe

... von Heiko Wruck
KOMMENTAR
Lassahn/gc. Der lärmende Protest unserer Tage ist nur der erste zarte Spross eines neuen Verteilungskampfes. Wer die meisten Kämpfer auf die Straße bringt, gewinnt den kurzen Moment für sich: Aufmerksamkeit. Vielleicht auch ein paar Zugeständnisse.

Bauern, Lkw-Fahrer, Lokführer, Pflegedienste, Handwerker, Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, Bundeswehr – die Liste der Begehrlichkeiten ist lang. Also schreit jeder aus Leibeskräften und droht mit dem Untergang des Landes.

Die aktuelle Entwicklung, die Nabelschau zum Maßstab des eigenen Handels zu machen, birgt eine gefährliche Sprengkraft. Sie tötet das solidarische Gemeinwesen. Die Bauern werden seit vielen Jahrzehnten milliardenschwer subventioniert. Ebenso die Bahn, der Gesundheitsbetrieb oder die Bundeswehr. Mancher Handwerker, Dienstleister, Gastronom und Künstler hat die vergangenen Jahre nur dank staatlicher Unterstützung überlebt. Nicht zu vergessen die Millionen Lohnaufstocker, die trotz regulärer Vollzeitjobs so miserabel bezahlt werden, dass sie nicht ohne staatliche Hilfen überleben können.

Und jeder meint, er allein wäre wichtig. Da geht es den Bauern nicht anders als den Pflegekräften. Von landwirtschaftlichen Arbeitskräften und Helfern, die mit ihren Löhnen kaum über die Runden kommen, oder von schlecht bezahlten Hauswirtschaftskräften in den Pflegeheimen wird kaum Notiz genommen. Statt dessen verbrennen Landwirte und Lkw-Speditionen lieber freiwillig tonnenweise subventionierten Diesel, um ihre Diesel-Subventionen zu retten. Proteste funktionieren auch preisgünstiger und umweltfreundlicher. Die Klimakleber haben es doch vorgemacht. Wer sich jedoch davor fürchtet, einen kalten Hintern zu riskieren, der demonstriert eben lieber bei laufendem Motor im dieselbeheizten Führerstand. Ist ja auch komfortabler. Doch es fehlt eine Einsicht: Der Kuchen ist deutlich kleiner geworden. Folglich gibt es weniger zu verteilen.

Eine Folge ist die drohende, gern auch die angedrohte Zerstörung der ganzen Gesellschaft. Das kann gut funktionieren, wenn man das Land lahmlegt. Gebraucht wird das Gegenteil. Wer redet über Kompromisse, über Chancen und Visionen? Wer entwickelt sozial ausgewogene Konzepte? Wer begeistert sich für Utopien? Wer erklärt, wie Deutschland in 30 Jahren aussehen wird? Wer arbeitet heute – nicht nur in der Landwirtschaft – an Produkten und Dienstleistungen, von deren Entwicklung, Herstellung, Instandhaltung und Verteilung seine Kinder und Enkel in einem globalen Wettbewerb in ein paar Jahren leben sollen? Statt dessen nur Geschrei um die größten Begehrlichkeiten und politische Erpressungsversuche.

Schwindende Leistungsbereitschaft, mangelndes Verantwortungsbewusstsein, fehlendes vorausschauendes Handeln und der Unwille zum Kompromiss werden das Land nicht retten. Das sollten sich die politischen Akteure in den demokratischen Parteien genau so bewusst machen wie es sich die Demonstranten überlegen sollten, ob es auch für sie selbst klug ist, ein ganzes an die Wand zu fahren.

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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