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Samstag, 8. Juni 2024

Weichei-Stigma geht gar nicht

Psychologische Traumata am Arbeitsplatz
... von Heiko Wruck
RATGEBER
Lassahn/gc. Menschen mit psychologischen Traumata treten zunehmend ins öffentliche Bewusstsein. Sie finden sich in Sportvereinen, in der Nachbarschaft und auf der Arbeitsstelle. Für Bekannte, Angehörige, Vorgesetzte und Kollegen ist es daher wichtig, in der Begegnung mit psychologischen Traumata die Situation richtig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.

Was ist ein traumatisches Ereignis?
Ein Trauma ist eine seelische (psychische) Verletzung. Niemand kann für sich ausschließen, selbst traumatische Erfahrungen machen zu müssen. Ein Psychotrauma entsteht durch eine Überforderung des psychischen Bewältigungsapparates. Auslöser können Gewaltakte, schmerzliche Verluste, Unfälle, Mobbing, Katastrophen, Misshandlungen, Folter et cetera sein. Man muss diese Ereignisse auch nicht zwingend selbst am eigenen Leib erlebt haben. Auch die unmittelbare Beobachtung solcher Ereignisse können Traumata bei den Beobachtern auslösen. Traumata lassen sich weder planen noch verhindern. Sie treten völlig unerwartet auf und sind plötzlich da. Die seelische oder psychologische Belastung ist plötzlich so groß, dass der psychische Bewältigungsapparat der Betroffenen keine Strategien und Reserven hat, um das Ereignis rational zu verarbeiten. Der psychische Selbstschutz versagt.

Ab wann ist es ein Trauma?
Nicht jeder Mensch wird durch eine belastende Situation traumatisiert. Auch stark belastende Erfahrungen gehören zum Leben und können ganz normal verarbeitet werden, ohne dass der Betroffene ein Trauma erleidet oder anders Schaden nimmt. Hilfsangebote, um belastende Situation zu verarbeiten, können Vertraulichkeit, Mitgefühl, das seelische Auffangen oder eine Psychotherapie sein. All das hilft, die Selbstheilungskräfte aufzubauen oder zu reaktivieren. Erst wenn diese psychischen Selbstschutzmechanismen nicht mehr aktiviert werden können, kann von einem Trauma ausgegangen werden.

Welche Selbstschutz-Mechanismen gibt es?
Psychisch traumatisierte Personen entwickeln oft übersteigerte Selbstschutz-Mechanismen. Damit versuchen sie, belastende Erinnerungen und Emotionen zu umgehen. Dazu gehören:

Vergessen
Das Vergessen kann eine Schutzwirkung entfalten.
Im Erleben ist die gesamte Aufmerksamkeit einzig
auf das Überleben gerichtet. Alles andere wird voll-
ständig ausgeblendet. Trotzdem können einzelne
Erinnerungsbruchstücke unvermittelt aufflackern.
Das totale Vergessen wird als Amnesie bezeichnet.

Vermeiden
Ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten kann ein
weiterer Schutzreflex sein. Das hat nichts mit Faul-
heit, Bequemlichkeit oder Drückebergertum zu tun.
Opfer von Banküberfällen können ein Vermeidungs-
verhalten entwickeln, dass alle Geldinstitute oder nur
ausgewählte Standorte betrifft. Verkehrsunfallopfer
können sich permanent weigern, sich ins Auto zu
setzen (Flieger, Motorrad, Fahrrad) oder bestimmte
Orte aufzusuchen (Unfall-, Absturzorte). In diesen
Fällen ist die Psyche noch im Überlebensmodus ge-
fangen.

Verdrängen
Traumatisierte Menschen neigen dazu, die Erinnerungen
an das auslösende Ereignis ganz bewusst, aber auch un-
bewusst aus ihrem Gedächtnis zu drängen. Sie sperren
sich sehr bewusst gegen Gespräche, Personen, Orte und
Situationen, die mit dem Trauma-Erlebnis verbunden sind.

Welche Symptome stehen für Traumata?
Die Symptome von Traumata lassen sich in drei Kategorien einteilen:

Intrusive Symptomatik
In dieser Kategorie löst ein Schlüsselreiz (Trigger) das
Wiedererleben der traumatischen Situation aus. Diese
Auslöser können geografisch (Orte, Regionen), visuell,
akustisch, olfaktorisch oder situativ erfolgen. Albträume,
Flashbacks oder aufdringliche Erinnerungen werden
durch die Auslöser aktiviert.

Konstriktive Symptomatik
Diese Kategorie bezeichnet die gedankliche Vorwegnahme
des Schlimmsten. Außenstehende nehmen dieses Symptom
als eine Art Dauer-Pessimismus wahr. Es liegt eine ständige
Alarmbereitschaft vor, gepaart mit Aktionismus.

Übererregbarkeit
Schreckhaftigkeit, Überwachheit, innere Unruhe, Reizbarkeit,
Durchschlafstörungen, schnelle und häufige Wutausbrüche
können Hinweise auf ein Trauma sein.

Tipps für Vorgesetzte, Kollegen und Angehörige traumatisierter Personen
Echtes Mitgefühl, Achtsamkeit, Vertraulichkeit, Verständnis und Wertschätzung helfen den Betroffenen. Die sogenannte Schocktherapie macht dagegen alles schlimmer. Vermeiden Sie Trigger. Bedrängen Sie Betroffene nicht. Respektieren Sie die Privatsphäre traumatisierter Menschen. Vorgesetzte Arbeitszeiten und das Arbeitspensum flexibel anpassen oder professionelle Hilfsangebote einrichten. Es braucht Geduld und Ausdauer, denn eine Traumabewältigung ist ein langwieriger Prozess. Ermutigungen und positive, optimistische Perspektiven helfen traumatisierten Personen, das Erlebte besser zu verarbeiten. Unterstützungshandlungen auch in schwierigen Phasen zeigen den Betroffenen, dass sie nicht alleine sind.

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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