Von Frankfurt/Main über Astana nach Kostanay
von Constanze Jantsch
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Reportage
Am Flughafen Frankfurt habe ich Glück, die Waage hat am 6. Oktober 2011 so ihre Macken … Beim Einchecken rechnet mir der charmante Mitarbeiter meiner Airline auf wundersame Weise das Gewicht meines Übergepäcks runter. Für jedes Kilo soll ich immerhin 15 Euro zahlen. Wer nicht nur für neun Wochen, sondern für neun Monate wegfährt, hat in der Regel eine Menge Zeug dabei.
Im Flieger, der mich in die kasachische Hauptstadt Astana bringt, fühle ich mich wie das Fleisch im Burger. Ich scheine die Einzige zu sein, die in der Mitte einer vollbesetzten Dreierreihe sitzen soll, obwohl der Flieger nur halb gefüllt ist. Also mogle ich mich in eine freie Reihe und habe dabei noch angenehme Unterhaltung. Ein anderer Deutscher hatte die gleiche Idee.
Nach sechsstündigem Flug und vier Stunden Zeitverschiebung erreichen wir am frühen Freitagmorgen, 7. Oktober 2011, die Hauptstadt. Beim Anflug auf Astana leuchtet um die Stadt herum ein Meer aus Lichtern. Mein Auftrag ist, in Kostanay eine Sprachassistenz für das Goethe-Institut zu leisten, das bedeutet, ich gebe Sprachunterricht und vermittle deutsche Kultur..
Wirklich ausgeschlafen bin ich nicht, als ich dem Grenzbeamten meinen Pass nebst ausgefüllter Migrationskarte entgegenstrecke. Es ist immer schön, wenn dieses Vorhaben schnell und reibungslos funktioniert. Der junge Grenzbeamte mustert meinen Pass und fragt seinem hinter mir stehenden Kollegen, „du sprichst doch Deutsch, oder?“ Er antwortet mit einem kräftigen „Ja, ja“ und kommt mit ausgestrecktem rechtem Arm und strammem Schritt freundlich lächelnd auf mich zu. Einen Hitlergruß hatte ich morgens um 8 Uhr nicht in Astana erwartet. Wahrscheinlich hat der noch sehr junge Mann einfach zu viele von den ständig laufenden Kriegsfilmen geguckt. Zu müde um mich aufzuregen, lasse ich den „Spaß“ über mich ergehen und freue mich, dass ich ohne Probleme einreisen darf.
Als mein Anschlussflug aufgerufen wird, begebe ich mich erneut zur Sicherheitskontrolle. Die kasachische Beamtin etwas zu meckern. Ihr sind die Haare auf meinem Passfoto zu kurz. Das kenne ich schon aus Russland …
Ich fliege knapp 90 Minuten so zusagen wieder zurück. Bereits auf dem Hinflug sind wir schon über Kostanay geflogen. Früher flog man direkt dorthin. Auf dem Rollfeld ist es so windig, dass ich meinen Hut festhalten muss. Mit meinem Handgepäck komme ich mühsam in die Fokker 50. Die von den Stewardessen ausgeteilten und in Fett ausgebackenen Piroggen sowie der Schokoriegel trösten mich nur wenig über meine plötzlich aufkommende Angst, dass diese Propellermaschine mich nicht heil an mein Ziel bringen wird. Wir fliegen los, über ein Nichts aus grenzenloser Weite. Ich bete, dass mein Gepäck dabei ist und ich in Kostanay schon erwartet werde.
Es scheint, als stünde die Stadt halb unter Wasser. Meine feinen Schnürschuhe kann ich einmotten. Frühestens Ende April sind sie wieder straßentauglich. Das Wasser steht überall, und immer wieder denke ich, dass das Pfützenspringen auch olympisch werden könnte …
Den Wohnungsschlüssel für meine neue Bleibe bekomme direkt von meinen Vormietern in die Hand gedrückt. Die Wohnung liegt im vierten russischen Stock eines fünfstöckigen „Sowjetbunkers“. Meine Laune sinkt, als ich feststelle, dass es zurzeit kein Wasser in meiner Wohnung gibt. Eine Havarie in der Stadt ... Das kenne ich schon von meinem Sibirien-Aufenthalt. Es bedeutet, ich kann noch nicht einmal die Schränke auswischen oder auf dem stillen Örtchen große Geschäfte verrichten. Nicht einmal Hände waschen ist drin. Da ich in den Abendstunden umgezogen bin, nutze ich die letzte halbwegs helle Stunde, um kurz um die Blocks zu gehen. Supermärkte nach deutschem Verständnis gibt es in meiner Gegend anscheinend nicht. Alles muss ich der Verkäuferin sagen oder zeigen. Auf die Schnelle weiß ich auch nicht, wie der Badreiniger auf Russisch genannt wird. Neben Haushaltswaren besorge ich noch ein Flasche Wasser, Birkensaft und drei kasachische Biere. Wer schon kein Wasser hat, sollte wenigstens Wasser lassen ...
Die nächsten Tage verbringe ich in der Hauptstadt Astana. Im neu erbauten Stadtteil mutet sie an wie ein Traum aus 1001 Nacht. Das absolute Kontrastprogramm zu Kostanay.
Wenn ich heute nach Hause komme, weiß ich nicht, welche Überraschungen auf mich warten. Ich weiß nur, alles wird gut.
Bildunterschrift 1:
Briefkästen mit Werbeblättern im Hausflur: Die Kabel sind Wildwuchs und „Standard“ zugleich. Sie ziehen sich durch jede sowjetische Bude. Foto: Constanze Jantsch
Bildunterschrift 2:
Herbstliches Grau vor meiner Haustür. Foto: Constanze Jantsch
Bildunterschrift 3:
Eine Hausansicht, wie sie für Kostanay typisch ist. Foto: Constanze Jantsch
Bildunterschrift 4:
Alltag auf der Hauptstraße Al-Farabi in Kostanay. Foto: Constanze Jantsch
Briefkästen mit Werbeblättern im Hausflur: Die Kabel sind Wildwuchs und „Standard“ zugleich. Sie ziehen sich durch jede sowjetische Bude. Foto: Constanze Jantsch
Bildunterschrift 2:
Herbstliches Grau vor meiner Haustür. Foto: Constanze Jantsch
Bildunterschrift 3:
Eine Hausansicht, wie sie für Kostanay typisch ist. Foto: Constanze Jantsch
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Alltag auf der Hauptstraße Al-Farabi in Kostanay. Foto: Constanze Jantsch
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Constanze_Jantsch(at)web.de
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Asien/gc Kasachstan/gc
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