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Sonntag, 12. Mai 2013

Das Schreien der Lämmer

43 ehrenamtliche Wolfsbetreuer beobachten Isegrim
von Heiko Wruck
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Bericht
Lassahn/gc. Weltweit stirbt die Honigbiene völkerweise aus. Bei der Öl-Katastrophe der Deep Water Horizon ergossen sich vom 20. April bis zum 16. Juli 2010 geschätze 800 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko. Europas Verbraucher sind verunsichert von Schweinepest, BSE, Vogelgrippe, Gammelfleisch und ungewollter Pferde-Lasagne. In Deutschland protestieren die Bürger gegen neue Stromtrassen, Elektro-Smog und Gen-Technik. In Mecklenburg-Vorpommern zielen die Proteste auf die Verhinderung von Massentierhaltungen, Bioenergieanlagen, Monokulturen und überdüngte Felder. Sind Natur und Umwelt noch zu retten? Einige meinen, ja! Zum Beispiel durch die gezielte Wiederansiedlung eines der größten Raubtiere Europas. Der Wolf soll hierzulande in freier Wildbahn erneut heimisch werden. In der Lübtheener Heide hat Isegrim nun eine Gefährtin gefunden. Grundlage für ein erstes Wolfsrudel in Mecklenburg.

Der politische Wille ist eindeutig. In Europa ist der Wolf geschützt: Washingtoner Artenabkommen, Berner Konvention, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG der Europäischen Union und das deutsche Bundesnaturschutzgesetz stellen Meister Isegrim unter strengen Schutz. In Deutschland leben Wölfe erstmals wieder seit dem Jahr 1996 in der Lausitz. Heute gibt es in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Brandenburg insgesamt 12 Rudel. Paare und Einzeltiere wurden aber auch in Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein festgestellt. Nun hat auch Mecklenburg seine Wölfe, Grundlage für ein erstes Rudel, zwei in der Lübtheener Heide, einer in der Ueckermünder Heide und ein weiteres Tier im Bereich Kyritz-Ruppiner Heide - Müritz-Nationalpark.

Viele der rund 11.000 Jäger in Mecklenburg-Vorpommern betrachten das mit Skepsis. Sie sehen Ökonomie, Ökologie und die Sicherheit bedroht, wenn Wölfe in Rudeln heimisch werden. Bereits jetzt sei der Raubtierdruck enorm groß, argumentieren sie. Marder, Marderhund, Mink und Fuchs verbreiten sich so rasant, dass die Waidmänner mit deren Abschüssen nicht hinterher kämen. Entsprechend groß seien die ökologischen Schäden unter deren Beutetieren. Die Gelege ganzer Wasservogelpopulationen würden heute schon von Mink und Co. regelrecht aufgefressen. Hasen sind in im Nordosten Deutschlands eine Seltenheit, und mancher Fuchs kann auch tagüber in Dörfern auf seinen Beutezügen beobachtet werden. Nun soll der Wolf dazu kommen.

Mit einem Fleischbedarf von zirka 1.500 Kilogramm pro Jahr frisst ein einzelner erwachsener Wolf das Gewicht dreier Kühe – ohne Horn und Knochen. Rinder geht der Wolf selten an. Schafe schon eher. Die könnten unter anderem mit Herdenschutzhunden vor dem Wolfstod bewahrt werden, ist im »Managementplan für den Wolf in Mecklenburg-Vorpommern« zu erfahren. Welchen Unterschied es macht, ob der Herdenschutzhund den Wolf totbeißt oder der Waidmann den Wolf erlegt, erschließt sich vielen Jägern nicht. Allerdings sollen Herdenschutzhunde präventiv wirken.

Des Schreiens der Lämmer ungeachtet gibt es auch Befürworter einer Rückkehr des Wolfes nach Deutschland. Sie sehen den Nutzen darin, dass eine weitere heimische Tierart die Artenvielfalt in Deutschland bereichert. Anders ausgedrückt: welchen unmittelbaren Nutzen gibt es, einen heimischen Käfer, Schmetterling oder eine Pflanze zu schützen? 

Pferde-, Rinder-, Ziegen- und Schafsbesitzer sehen ihre Tiere in Freilandhaltung bedroht. Jäger erwarten eine zusätzliche Verstärkung des Beutedrucks. Hundehalter befürchten tödliche Kämpfe ihrer Tiere mit dem Wolf.

Die Wiederansiedlung des Wolfes bleibt letztlich eine Abwägung, ob das – nach dem Bären – größte Landraubtier Europas in unmittelbarer Nähe des Menschen leben dürfen soll oder nicht. Furcht und ökonomische Interessen waren bis ins 19. Jahrhundert die treibenden Kräfte für die Ausrottung des Wolfes.

Bildunterschrift 1:
In Mecklenburg-Vorpommern dürfen Jäger auch dann den Wolf nicht schießen, wenn dieser einen Jagdhund angreift. Der große Graue steht unter strengem Naturschutz. Foto: Heiko Wruck

Bildunterschrift 2:
Landwirt Hans Diederichs, Groß Raden: Das hat Vor- und Nachteile. Der Wolf war verschwunden, weil ihm sein Lebensraum zu klein wurde. Tierhalter haben sich auf die Abwesenheit des Wolfes eingestellt. Nun gibt es ein Problem für die Freilandhaltung. Um sich zu schützen, kommen erhebliche Kosten auf Mutterkuh und Schafhalter zu. Fotos: Erz

Bildunterschrift 3:
Detlef Hamann, Jäger im Hegering Hagenow: Bei uns gibt es keine echte Wildnis. Tiere und Menschen leben dicht an dicht in einer eng besiedelten Kulturlandschaft. Ein starkes Raubtier hier anzusiedeln, birgt Konflikte, nicht nur ökonomische für Jäger und Landwirte, auch für im Wald spielende Kinder, Hunde, Reiter, Spaziergänger und Touristen.

Bildunterschrift 4:
Förster Florian Rackwitz, Friedrichswalde/Weiße Krug: Ich bin um jedes heimische Tier froh, das nach 100 Jahren auf natürliche Weise zurückfindet. Den Futterneid, dass der Wolf uns die Tiere des Waldes wegfrisst, habe ich nicht und bin gespannt, wie sich der Wolf in unserer Kulturlandschaft zurecht findet und entwickelt.

Bildunterschrift 5:
Dr. Till Backhaus, Mecklenburg-Vorpommerns Minister für Landschaft, Umwelt und Verbraucherschutz beantwortet am 14. Mai für eine Stunde ab 17.30 Uhr am Lesertelefon Ihre Fragen zum Wolf. Sie erreichen den Minister unter Telefon 0385-64 58 4 800 oder für Ihre Fragen per E-Mail vorab unter der Adresse heiko.wruck@blitzverlag.de.

Kontakt:
heiko@wruck.org
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