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Dienstag, 12. Mai 2020

Vorbereitet auf zweite Infektionswelle warten

Coronakrise erfordert Priorisierung im Klinikalltag
von Heiko Wruck
GESPRÄCH
Schwerin/gc. Die ersten Lockerungen nach dem Lockdown in der Coronakrise lassen die Menschen aufatmen. Im Gespräch erklärt Daniel Dellmann, Geschäftsführer der Schweriner Helios Kliniken, seine Sicht.

Wie viele Betten unterhält Helios in
Schwerin und wie viele davon sind Coronareserven?
Insgesamt haben wir 1.500 Krankenhausbetten. 500 Betten davon werden im Fachbereich der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik bereitgestellt.

Müssen denn nicht Betten im Rahmen
der Coronapandemie vorgehalten werden?
Anfangs gab es die Maßgabe, 50 Prozent vorzuhalten. Das waren bei uns 16 Plätze bei den Intensivbetten mit Beatmungsgeräten. Gebraucht haben wir bisher nur 3 Plätze. Deshalb können wir nun auf 8 für COVID 19-Erkrankte Intensivbetten und circa 15 Normalbetten reduzieren. Aber wir sind in der Lage, innerhalb von 24 Stunden auf bis zu 60 Plätze aufzustocken. Insgesamt könnten wir per sofort bis zu circa 80 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten bereitstellen. Eine echte Krise würde für uns entstehen bei einem spontanen Bedarf von etwa 125 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten. Es ist aber nicht so sehr die Technik, also die Betten und die Beamtmungsgeräte, die Gretchenfrage, sondern das Personal. Das leistet die unmittelbare Versorgung am Menschen. Dazu bedarf es qualifizierter Fachleute auf allen Ebenen. Nicht nur im medizinischen Bereich, sondern auch in allen anderen Bereichen: Wäsche, Reinigung, Küche, technische Dienste, Materialbeschaffung, Sicherheit und viele mehr. Neben der Versorgung der Coronapatienten mit den dafür besonderen Vorschriften läuft ja der normale Krankenhausbetrieb weiter. Es kommen  trotzdem noch Notfälle herein. Ohne Corona kommen wir mit circa 160 Notfallbetten pro Tag aus. Etwa 100 Notfallpatienten werden pro Tag im Normalbetrieb stationär aufgenommen.

Mussten wegen Corona bei Ihnen schon
Patienten abgewiesen oder früher entlassen werden?
Nein, bisher hatten wir keinen Engpass, der so was nötig gemacht hätte. Glücklicherweise halten sich hier die Infektionsfälle in überschaubaren Grenzen.

Wie hoch ist in Schwerin die aktuelle
Auslastung und wie stellt sich der erhöhte Aufwand dar?
Im Klinikum sind wir zu etwa 70 Prozent ausgelastet. In der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik sind wir derzeit bei circa 50 Prozent. Ohne die Coronakrise würden wir beide Häuser mit 100 Prozent fahren. Aber weil das Coronavirus klinisch noch nicht zu bekämpfen ist, halten wir alle Systeme in der Alarmstufe gelb. Bei jedem Patienten, der reinkommt, wissen wir nicht, was er mitbringt. Deswegen werden die für Krankenhäuser ohnehin schon sehr hohen Hygieneanforderungen jetzt noch stärker angehoben. Das Risiko­screening ist noch umfangreicher geworden. Die Gruppentherapien wurden verkleinert und vereinzelt. Wir behandeln jetzt mit demselben Personal weniger Patienten. Das passiert aber nicht wegen  der Coronafälle, sondern wegen der prophylaktischen Hygienemaßnahmen, um in einer Krisensituation Luft nach oben zu haben. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Leute zurückhaltender sind. Beispielsweise kommen von den sonst täglich circa 160 Notfallpatienten außerhalb der Coronakrise aktuell nur noch etwa 100 Notfallpatienten am Tag zu uns. Die Leute haben Angst, sich in der Klinik zu infizieren. Dabei ist gerade ein Krankenhaus jetzt einer der sichersten Orte. Meine Botschaft lautet ganz klar: Leute, geht ins Krankenhaus, wenn ein Notfall vorliegt. Herz- und Kreislaufprobleme sowie weitere Notfälle müssen trotz Krise unbedingt behandelt werden.

Werden aktuell Coronapatienten bei Ihnen
behandelt und haben sich Mitarbeiter infiziert?
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, Stand 6. Mai 2020, haben wir in den Schweriner Helios Kliniken keine Coronafälle. Aktuell sind auch keine unserer Mitarbeiter an Corona erkrankt. Wir hatten jedoch bereits vier auf das Coronavirus positiv getestete Mitarbeiter. Allerdings hatten die sich nicht im Krankenhaus infiziert.

Wann ist die Kapazitätsgrenze bei Helios Schwerin erreicht?
Wir sind ein Maximalversorger. Wenn nur noch Coronabetten da sind, nehmen wir trotzdem auch Notfälle auf. Die müssen versorgt werden, selbst wenn sie auch mit dem Coronavirus infiziert würden. Kein Notfall wird abgelehnt. Aber es muss priorisiert werden. Zum Beispiel Herz- und Krebspatienten werden weiter behandelt, aber das Knie muss warten. Erst wenn nichts mehr geht, sind die Kapazitäten erschöpft. Davon sind wir heute weit entfernt.

Gibt es ein Gesundheitssystem, das für Sie vorbildlich ist?
Es gibt kein perfektes System. Geht man so vor wie die USA, die eine strikte Zugangsbegrenzung haben, sterben die Armen. Dänemark gefällt mir sehr gut. Die haben zwar wenige Maximalversorger. Gestützt wird das System durch viel stärker abgestufte Leistungen und Gemeindeschwestern. Wenn dort ein Rettungswagen vor Ort ist, dann weiß der Klinikarzt schon über die Details des Patienten Bescheid, bevor der Rettungswagen zur Klinik losfährt. Auch die einstigen Polykliniken waren sehr gut. Um zu verhindern, dass ein Gesundheitssystem zu teuer wird, muss es organisatorisch abgefedert werden. Doch da gibt es bei uns sehr viele politische Komponenten.

Sind die Anti-Coronamaßnahmen
angesichts geringer Fallzahlen nicht übertrieben?
Hinterher ist man immer klüger. Ich denke, alle bisherigen Maßnahmen waren angemessen. Die Leute haben mitgemacht und die Infektionsketten wirksam unterbrochen. Auch den Lockdown jetzt schrittweise zu lockern, halte ich für richtig. Denn auf der einen Seite machen die Leute so was nur eine begrenzte Zeit mit. Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft unsere Lebensgrundlage. Die Politiker haben die schwere Aufgabe, alle Risiken gleichzeitig in der Waage halten zu müssen. Ich gehe davon aus, dass es eine zweite Infektionswelle geben wird, die wir aber beherrschen werden. Wir haben ein neues Bewusstsein dafür, die richtige Hygiene und das wachsende Verständnis.

Die Schweden sind lockerer ...
Abgerechnet wird zum Schluss. Die Schweden testen weniger und haben eine höhere Todesrate. Ich glaube, wir werden etwa zwei Jahre mit coronabedingten Einschränkungen zu tun haben. Die Clusterlösung und die Tracking-App sind sehr sinnvoll, wenn man Infektionsketten nachvollziehen und unterbrechen will.

Belastet die Krise die Klinik auch finanziell?
Der Schutzschirm von Minister Spahn sichert den Klinikbetrieb zunächst ab. Auch hier gilt, abgerechnet wird erst zum Schluss.

Was wünschen Sie sich?
Wir arbeiten hervorragend zusammen mit Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsminister, mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales sowie mit allen anderen Partnern. Wir werden immer gehört, auch wenn anders entschieden wird. Ich habe immer das Gefühl, dass alles sehr vernünftig gehandhabt wird. Das soll so bleiben. Den Mitmenschen wünsche ich Mut, die Klinik bei Bedarf aufzusuchen. Den Mitarbeitern, unseren Profis mit Herz und Hand, wünsche ich viel Kraft. Bleiben Sie gesund.

Bildunterschrift:
Daniel Dellmann, Geschäftsführer der Schweriner Helios Kliniken: Dass nun die Infektionszahlen der Landkreise in der praktischen Krisenbekämpfung mehr Beachtung finden, haben wir früh angeregt. Das wird jetzt auch gemacht. Foto: Helios Kliniken Schwerin

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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