Psychische Gefährdungsbeurteilung kein Hokuspokus
... von Heiko Wruck
BERICHT
Lassahn/gc. Auslöser, warum Menschen plötzlich andere Menschen gefährden, verletzen oder gar töten, gibt es viele. Sie können gesundheitliche Ursachen haben, aber auch betriebliche, persönliche oder familiäre.
Regelmäßig durchgeführte psychische Gefährdungsbeurteilungen können helfen, schlimme Situationen zu vermeiden oder aufzulösen beziehungsweise im Vorfeld zu erkennen. Im Gegensatz zur allgemeinen Gefährdungsbeurteilung, die stoffliche und technische Gegebenheiten untersucht, ist die psychische Gefährdungsbeurteilung darauf ausgelegt, Art, Intensität und Dauer psychischer Belastungen zu ermitteln. Die können ihre Ursachen in einem destruktiven Führungsverhalten in überlangen Arbeitszeiten, bei unzureichendem Tätigkeitsspielräumen oder bei Missverhältnissen von Arbeitsmengen und Arbeitszeiten haben.
In jedem Fall wirken sie über längere Zeit gesundheitsschädigend. Bei einer psychischen Gefährdungsbeurteilung sind Arbeitsinhalte, die Arbeitsorganisation, die Arbeitszeitgestaltung, die sozialen Arbeitsbeziehungen sowie die Arbeitsumgebung zu untersuchen.
Seit 2013 sind Arbeitgeber in Deutschland nach dem Arbeitsschutzgesetz (§ 5 Abs. 6) verpflichtet. Verantwortlich für ordnungsgemäße Durchführung sind die Unternehmer in Person beziehungsweise die Geschäftsführung. Die Durchführung und die Ergebnisse der psychischen Gefährdungsbeurteilung müssen nachgewiesen werden. Außerdem müssen die Umsetzung und die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen überprüft und dokumentiert werden.
Weitere Informationen:
Broschüre „Arbeitsschutz in der Praxis
Berücksichtigung psychischer Belastung
in der Gefährdungsbeurteilung
Empfehlungen zur Umsetzung in der
betrieblichen Praxis“
Amokläufe in Deutschland
Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit
● Ibbenbüren, 10. 1. 2023: Ein 17-Jähriger erstach mit mehreren Messerstichen in Ibbenbüren seine Lehrerin (55). Anschließend wählte er den Polizei-Notruf und ließ sich widerstandslos festnehmen. Eine Gruppe Schüler erzählte einem Reporter, dass möglicherweise kontroverse Äußerungen im Politikunterricht der Grund für einen anstehenden Schulverweis gewesen sein könnten. Der 17-Jährige sollte am Nachmittag des 10. Januar zuerst zum Gespräch mit der Lehrerin und anschließend bei Schulleitung erscheinen. Dazu kam es nicht mehr.
● Heidelberg, 24. Januar 2022: An der Universität in Heidelberg hat ein 18-jähriger Biologie-Student eine junge Frau mit einem Kopfschuss im Hörsaal getötet und mehrere Menschen mit einem Gewehr verletzt. Der Täter tötete sich wenig später selbst. Das Gewehr soll er einige Tage vorher im Ausland gekauft haben. Der 18-Jährige soll eine „lange zurückliegend“ psychische Erkrankung gehabt haben. Er hatte den Amoklauf kurz vorher angekündigt. Nach Angaben der Polizei schickte er unmittelbar zuvor eine Whatsapp-Nachricht an seinen Vater. Er habe geschrieben, „dass Leute jetzt bestraft werden müssen“.
● Würzburg, 25. Juni 2021: Ein 24-jähriger Somalier tötete drei Frauen in Würzburg mit einem Messer und verletzte weitere sieben Menschen. Polizisten stoppten den Messerstecher mit einem Oberschenkelschuss.
● Lübeck, 20. Juli 2018: Ein 34-jähriger Deutsch-Iraner verletzte in Lübeck zwölf Fahrgäste zum Teil schwer in einem Linienbus und legte Feuer. Das Landgericht Lübeck hatte in 2019 den Täter auf unbestimmte Zeit in die forensische Psychiatrie eingewiesen. Ihm wurde eine paranoide Schizophrenie attestiert.
● Heidelberg, 25. Februar 2017: Ein 32-jähriger Österreicher und seine 29-jährige bosnisch-herzegowinische Partnerin waren verletzt worden, als 35-jähriger Deutscher einen Mietwagen in eine Menschengruppe gesteuert hatte. Ein 73-jähriger Heidelberger starb später im Krankenhaus. Der Täter war anschließend mit einem Messer bewaffnet zu Fuß geflüchtet und wurde durch einen Polizisten, der auf ihn geschossen hatte, schwer verletzt.
● Düsseldorf, 9. März 2017: Neun Menschen wurden verletzt, als ein 36-Jähriger aus dem Kosovo sie im Düsseldorfer Hauptbahnhof mit einer Axt angriff. Nach der Tat flüchtete der Mann. Dabei sprang er von einer mehrere Meter hohen Brücke und brach sich mehrere Knochen. Dem Täter war eine „paranoide Schizophrenie“ attestiert worden.
● München, 22. Juli 2016: Am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) schoss ein 18-Jähriger um sich. Der Deutsch-Iraner tötete 9 Menschen. 27 weitere Personen wurden verletzt. Der Amokläufer tötete sich anschließend selbst.
● München, 10. Mai 2016: Am S-Bahnhof Grafing stach ein 27-jähriger Deutscher aus Hessen wild um sich, tötete einen Menschen und verletzte drei.
● Reutlingen, 24. Juli 2016: Mit einem Dönermesser ermordete ein 21-Jähriger Syrer seine Kollegin und Geliebte (45, Polin, schwanger) und verletzte anschließend in der Innenstadt zwei Menschen bei seinem Amoklauf.
● Ansbach, 10. Juli 2015: Während einer fast zweistündigen Amokfahrt erschoss ein 47-Jähriger im fränkischen Landkreis Ansbach zwei Menschen: eine 82-Jährige und einen 72-Jährigen. Anschließend beschoss und bedrohte der Täter weitere Personen. Der Akomläufer wurde gefasst. Ein Gutachter stellte bei ihm eine „akute Psychose“ fest.
● Düsseldorf/Erkrath, 28. Februar 2014: In einer Anwaltskanzlei in Düsseldorf und in einer Anwaltskanzlei im benachbarten Erkrath ermordete ein Koch (48) zwei Frauen und einen Anwalt (54). Anschließend legt er in den Büros Feuer. Danach will er seine Ex-Chefin ermorden und ihre Pizzeria in Goch an der niederländischen Grenze in Brand setzen. Er würde überwältigt und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Als Tatmotiv stellte das Gericht Racheabsichten fest.
● Kerpen/Langerwehe, 9. Mai 2013: In Kerpen und in Langerwehe bei Aachen erschoss ein Mann (63) seine Ehefrau, seine Schwägerin und seinen Schwager. Während des polizeilichen Zugriffs schoss er sich selbst in den Schädel. Als Ursache für diesen Amoklauf wurde eine psychische Erkrankung vermutet.
● Dossenheim, 21. August 2013: Während einer Eigentümerversammlung in Dossenheim bei Heidelberg wurde wegen eines Streits über die Nebenkostenabrechnung ein Mann des Raumes verwiesen. Der Sportschütze kam mit einer Pistole zurück, ermordete zwei Männer und verletzte weitere fünf Personen schwer. Nach der Tat erschoss sich der Mann selbst.
● Lörrach, 19. September 2010: In Lörrach (Baden-Württemberg) erstickte eine Rechtsanwältin (41) ihren Sohn (5) und erschoss den getrennt lebenden Mann. Anschließend steckte die 41-Jährige die Wohnung in Brand. Danach setzte sie ihren Amoklauf fort und ermordete einen 56-jährigen Pfleger in einem benachbarten Krankenhaus. Die Rechtsanwältin wurde beim Zugriff von der Polizei erschossen.
● Ansbach, 17. September 2009: 15 Menschen (Lehrer und Schüler) wurden von einem 18-Jährigen in einem Gymnasium in Ansbach (Mittelfranken) angegriffen und teils schwer verletzt. Der 18-Jährige war mit Messern, Molotow-Cocktails und einem Beil bewaffnet. Später wurde er in 47 Fällen wegen versuchten Mordes verurteilt.
● Sankt Augustin, 11. Mai 2009: Eine 16-Jährige bewaffnete sich mit einem Kurzschwert, mit einer Schreckschusswaffe und mit Molotowcocktails, um in einem Gymnasium in Sankt Augustin eine größere Bluttat zu begehen. Unmittelbar bei der Vorbereitung auf der Schultoilette wurde sie von einer 17-Jährigen entdeckt. Sie griff die Mitschülerin an und verletzte diese schwer mit dem Kurzschwert. Nach dieser Tat floh die Angreiferin und stellte sich später der Polizei.
● Winnenden, 1. März 2009: Ein 17-Jähriger ermordete 12 Menschen in einer Realschule in Winnenden (drei Lehrerinnen und neun Schüler). Anschließend ermordete er auf der Flucht drei Passanten. Der 17-Jährige starb bei einem Schusswechsel mit der Polizei.
● Emsdetten, 20. November 2006: Bei einem Amoklauf eines schwer bewaffneten Ex-Schülers einer Realschule in Emsdetten im Münsterland werden insgesamt 37 Menschen verletzt, sechs davon durch Schüsse des Täters. Der 18-Jährige zündet zudem mehrere selbst gebaute Rohrbomben und Rauchkörper, bevor er sich in dem Schulgebäude mit einem Kopfschuss selbst tötet.
● Erfurt, 26. April 2002: Am Erfurter Gutenberg-Gymnasium werden zwölf Lehrer, zwei Schüler, die Schulsekretärin sowie ein Polizist von einem 19-Jährigen erschossen. Nach den Morden tötet sich der 19-Jährige selbst.
● Eching/Freising, 19. Februar 2002: Ein 22-Jähriger ermordete (vermutlich aus Rache) drei Menschen. Er war bewaffnet mit einer einer Handgranate, zwei Pistolen und drei Rohrbomben. Zwei frühere Vorgesetzte tötete er an seinem einstigen Arbeitsplatz in Eching (München). Danach lässt er sich im Taxi nach Freisingen fahren. Dort ermordet er den Rektor seiner früheren Wirtschaftsschule. Außerdem werden zwei Lehrer von ihm verletzt. Der 22-Jährige wird nach den Taten mit einem Kopfschuss tot in der Wirtschaftsschule aufgefunden.
● Bad Reichenhall, 1. November 1999: Aus seinem Elternhaus in Bad Reichenhal heraus schoss ein 16-Jähriger wahllos auf Fußgänger. Unter den Passanten waren drei Todesopfer zu beklagen. Der 16-Jährige ermordete ebenfalls seine 18-jährige Schwester und tötet sich dann selbst. Die Waffen hatte er aus dem Waffenschrank des Vaters entnommen.
Bildunterschrift:
Polizeieinsatz (Symbolbild): Mittels einer psychischen Gefährdungsbeurteilung können gefährliche Entwicklungen im Vorfeld erkannt und möglicherweise eine Eskalation verhindert werden. Foto: Heiko Wruck
Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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