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Sonntag, 26. Mai 2024

Fehlerstrategien – fail forward

Fehlerkulturen im internationalen Spiegel
... von Heiko Wruck
RATGEBER
Lassahn/gc. Wie gehen Sie mit Ideen um? Lehnen Sie sie erst einmal ab? Oder stimmen Sie schnell begeistert zu? Und was passiert, wenn Sie als Ideengeber mit Ihrem Vorhaben scheitern? Sind Sie dann ein Versager, ein Verlierer, ein Dummkopf oder Idiot? Sind Sie ein Unbelehrbarer? Ziehen Sie sich auf bekanntes Terrain zurück oder gehen Sie erneut ins Risiko? Wie Sie sich entscheiden, hängt stark von Ihrer kulturellen Prägung ab. Aber das muss nicht so bleiben. Es gibt immer eine andere Sicht auf das Leben.

Im internationalen Spiegel betrachtet wird die Fehlerkultur höchst unterschiedlich gehandhabt. In einigen Ländern hat sich eine leichte, humorvolle, neugierige und pragmatische Fehlerkultur etabliert. Großbritannien gehört dazu. Das komplette Gegenteil dieser Fehlerkultur finden sich in Frankreich und in Deutschland. Dort werden Fehler hauptsächlich als individuelles persönliches Versagen betrachtet, die das Ende eines Weges  – die Katastrophe – bedeuten. In China ist das übrigens ähnlich. Der Unterschied zu Frankreich und Deutschland besteht hier jedoch im kollektivistischen Ansatz. Dabei geht es in China zuerst um die Gesichtswahrung und anschließend um die Verbesserung. Wo für Deutsche und Franzosen der Weg zu Ende ist, beginnt für Chinesen ein neuer Weg.

In zahlreichen Ländern ist eine verdeckte und schambesetzte Fehlerkultur der Normalfall. Aber es gibt auch Länder, in denen es anders läuft. Schweden, Niederlande, Brasilien und nicht zuletzt die USA sehen in Fehlern auch die Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Dort sind Fehler eher eine Lernmöglichkeit.

Eine positive Fehlerkultur können wir erreichen, wenn wir den Umgang mit Fehlern im internationalen Spiegel betrachten. Wenn es gelingt, eine positive Fehlerkultur zu etablieren, gewinnen alle. Versagensängste, Schambesetzung, Vorurteile und kollektivistische Anpassungen fördern keinen freien Umgang. Im Gegenteil, sie verhindern ihn. Wer unfrei ist, wird auch nicht glücklich. Und wer nicht glücklich ist, belastet andere.

Hier ein kurzer Abriss über Fehlerkulturen im internationalen Spiegel:

USA – fail forward
Risikobereitschaft, unternehmerisches Denken,
Fehler als Lernmöglichkeit, offene Fehlerkultur,
Kernelement: Fail-Fast-Mentalität, schnell aufstehen

Deutschland – Ich hab es gewusst
Sicherheitsdenken, Perfektionismus, Risikoaversion,
verdeckte, verurteilende Fehlerkultur, Schuldzuweisung,
Kernelement: Katastrophen-Mentalität

Frankreich – Fehler als Versagen
Hierarchie, Zentralismus, Perfektionismus, eher verdeckte
Fehlerkultur, Schuldzuweisungen,
Kernelement: Kein Pardon

Japan – Kaizen
Perfektionismus, Harmonie, Gruppendenken, Fehler als Schande,
strenge Fehlerkultur, kontinuierliche Verbesserung,
Kernelement: punktuelle Perfektionierung

Schweden – Feedback-Kultur
Offenheit, Konsens, Fehler als Lernmöglichkeit, transparente
Fehlerkultur,
Kernelement: Gelassenheit im Umgang mit Fehlern

Niederlande – Polder-Modell
Pragmatismus, Offenheit, Fehler als Lernmöglichkeit,
direktes Feedback, experimentelle Fehlerkultur,
Kernelement: Konfrontationen vermeiden

China – Fehler als Schande
Harmonie, Gesichtswahrung, Kollektivismus, sehr strenge
Fehlerkultur, kontinuierliche Verbesserung,
Kernelement: offene Kritik vermeiden

Großbritannien – Trial and Error
Pragmatismus, Humor, Fehler als Lernmöglichkeit, offene
Fehlerkultur, Selbstreflexion,
Kernelement: Fehler sind unausweichlich

Indien – Fehler als Schande
Hierarchie, Kollektivismus, sehr strenge Fehlerkultur,
kontinuierliche Verbesserung,
Kernelement: Lernen durch Beobachtung

Brasilien – Fehler als Lernmöglichkeit
Beziehungen, Flexibilität, verdeckte Fehlerkultur,
Schuldzuweisungen,
Kernelement: Improvisation

Die richtige Fehlerstrategie ist nichts Statisches
Die Fehlerkultur beeinflusst maßgeblich die Fehlerstrategie, also den Umgang mit Fehlern. Welche schließlich die richtige Fehlerstrategie ist, kann nicht klar gesagt werden. Der Mix machts. Der pädagogische Ansatz verfolgt eine konstruktiven Fehlerkultur. Hier steht der Fehler als Lernmöglichkeit im Zentrum. Diese Strategie erzeugt ein positives Klima, das die Angst vor Fehlern abbaut. Allerdings werden Fehler auch nicht aktiv vermieden.

Die Fehlervermeidung ist eher das Anliegen von Qualitätsmanagern. Ausschussquoten, Nacharbeiten, Reklamationen und Reparationen kratzen erheblich am Image von Produkten und Unternehmen. Deswegen finden sich bei Qualitätsmanagern besonders häufig Null-Fehler-Programme als ideale Fehlerkultur. Der Vorteil liegt in der hohen Qualität und in der großen Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen – wie zum Beispiel bei Autos, Sicherungsseilen oder Banking-Apps. Der Nachteil besteht darin, dass Fehler als Schande betrachtet werden und eine von Angst bestimmte Fehlerkultur vorherrscht.

Im Gegensatz zu den Qualitätsmanagern sehen Innovationsmanager Fehler als unvermeidbare Begleiterscheinung bei Entwicklungsprozessen. Für sie sind Fehler eine Chance, es besser zu machen. Das produktive Potenzial eines Fehlers ist zwar eine großartige Sache, aber im Bereich Qualitätssicherung eher kontraproduktiv. Wer will schon ein Sicherungsseil, das auch mal reißen kann.

Lernende Organisationen sind den Innovationsmanagern sehr ähnlich. Auch die leben eine offene Fehlerkultur, setzen dabei jedoch weniger auf Individualismus wie die Innovationsmanager, sondern verstärkt auf kollektive Problemlösungs- und Handlungskompetenzen.

Die richtige Fehlerstrategie ist daher nichts Statisches, sondern findet sich im ständigen Wechsel zwischen Fehlerfreundlichkeit und Fehlervermeidung. Auch hier gilt: Ideale und Extreme sind selten praxistauglich. Unternehmen, deren einzelne Abteilungen klar voneinander abgegrenzte unterschiedliche Fehlerkulturen leben, sind besser aufgestellt als Unternehmen, die eine zentrale Fehlerkultur vorgeben. Organisationen die viele Fehlerkulturen leben, haben deswegen eine adäquate und vor allem flexible Fehlerstrategie. Erst diese Flexibilität bewirkt in letzter Konsequenz ein gutes und robustes Betriebsklima mit einer offenen, angstfreien Kommunikation, ohne Standesdünkel und Hierarchiegehabe.

Kontakt:
Heiko.Wruck@t-online.de
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