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Freitag, 10. Mai 2024

Weltweit größter Flugzeugrumpf aus Thermoplast

Neue Bauweise für automatisierte Produktion
Redaktion: IFAM
PRESSEMITTEILUNG
Bremen/gc. Meilensteine für den sauberen und nachhaltigen Flugverkehr von morgen: Clean Sky 2-/Clean Aviation-Projekt „MFFD“ weist Potenzial von rund 10 Prozent Gewichtsreduktion und 10 Prozent Kostenersparnis in der Hochratenproduktion auf.

Im Rahmen des von der EU geförderten Clean Sky 2-/Clean Aviation-Projekts „Large Passenger Aircraft“ („LPA“) hat die Fraunhofer-Gesellschaft in Stade mit internationalen Projektpartnern jeweils eine maßstabsgetreue Ober- und Unterschale des „Multi Functional Fuselage Demonstrator“ („MFFD“) durch automatisierte Positionier- und Fügeprozesse miteinander verbunden. Das Verschweißen der zwei Längsnähte der beiden 8 Meter langen CFK-Halbschalen, die einen Durchmesser von etwa 4 Metern aufweisen, schloss die Herstellung des größten thermoplastischen CFK-Flugzeugrumpfsegments der Welt erfolgreich ab.

Sowohl für die Produktion als auch den Betrieb von Passagierflugzeugen werden dringend klimafreundliche Lösungen benötigt, die zu einer noch weitergehenden Einsparung von Ressourcen beitragen. Neben neuen Antriebstechnologien stehen dabei auch Strukturgewicht und Herstellungsaufwand im Fokus. Beides kann durch neue Bauweisen verringert werden, wie sie insbesondere thermoplastische CFK-Werkstoffe ermöglichen. Erstmalig wurde deshalb in einem Forschungsprojekt ein Rumpfsegment in Originalgröße aus thermoplastischen CFK-Werkstoffen hergestellt, um Machbarkeit sowie ökologische und ökonomische Vor- und Nachteile fundiert bewerten zu können.

Neue Flugzeugrumpf-Bauweise
Als Fügeverfahren zum Schließen des Thermoplast-Flugzeugrumpfs wurden zusammen mit dem Projekt-Koordinator Airbus das CO₂-Laserschweißen für die linke Längsnaht sowie das Ultraschallschweißen für die rechte Längsnaht ausgewählt. Beide Verfahren bieten den Vorteil des staubfreien Fügens, den die zurzeit verwendeten Nietverfahren nicht besitzen. Allerdings wurden sie bisher weder in der Produktion noch in der Forschung bei so großen CFK-Bauteilen und mit den hier benötigten speziellen Qualitätsanforderungen angewendet. Der Bedarf für ein staubfreies Fügen ergibt sich aus der erstmalig durchgeführten Vorintegration beider Schalen mit einer Vielzahl von ebenfalls schweißtechnisch montierten Struktur- und Systemkomponenten, die ein nachträgliches Entfernen von Staub und Spänen nicht zulässt.

Beigestellt wurde die im Autoklav unter Druck und Temperatur verfestigte (konsolidierte) Thermoplast-Unterschale aus dem „LPA“-Projekt „STUNNING“ von einem Konsortium aus GKN Fokker, Diehl Aviation, Netherlands Aerospace Centre – NLR und Technische Universität Delft. Die thermoplastische, mittels Tape-Legeverfahren (in-situ-Konsolidierung) hergestellte Oberschale stammt von einem Konsortium aus Premium Aerotec, Airbus, Aernnova und Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – DLR ZLP.

Beide Schalen beeindrucken insbesondere aufgrund des hohen Grads der Vorintegration, der weitgehend nietlosen Bauweise und der hierdurch erzielten Gewichtsreduktion von 10 Prozent gegenüber dem Status quo. Dabei eröffnet einerseits die automatisierte Vorintegration eine hohe Effizienzsteigerung und örtliche Flexibilität mit Blick auf eine Hochratenproduktion bei gleichzeitiger Kostenersparnis von bis zu 10 Prozent, weil nicht mehr wie bisher alle Bauteile in den geschlossenen Rumpf gebracht und dort unter beengten Verhältnissen manuell montiert werden müssen. Andererseits führt die Gewichtsreduktion der Flugzeugstruktur zu einer verbesserten Treibstoffeffizienz im Betrieb.

Automatisierte Montage-Forschungsplattform
Zusammen mit dem Partner FFT Produktionssysteme hat die Fraunhofer-Gesellschaft am Forschungszentrum CFK NORD in Stade in dem „LPA“-Projekt „Multifunctional automation system for Fuselage Assembly Line“ („MultiFAL“) die automatisierte Montage-Forschungsplattform für den „MFFD“ inklusive der zentralen Anlagen- und Prozesssteuerung entworfen und errichtet. Andere Projektpartner haben danach ihre Technologiebausteine in die Plattform integriert. Zu den weiteren Aufgaben von Fraunhofer entlang der Prozesskette gehörte zunächst das Einrüsten der Unterschale mittels einer eigens entwickelten Aufnahme, welche es erlaubte, die Unterschale für die Folgeprozesse hochgenau im Montageraum auszurichten. Danach erfolgte das Einbringen der Oberschale mit dem Hallenkran. Alle weiteren Prozessschritte liefen vollständig automatisiert ab. Das submillimetergenaue Positionieren der beiden Schalen zueinander übernahm ein Feld von zehn Hexapod-Robotern, die mithilfe von Laser-Sensoren jederzeit die optimale Form und Lage der Schalen einstellten und bei Bedarf nachjustierten.

CO₂-Laserschweißen
Für den Laserschweißprozess waren dünne, bis zu 4,5 Meter lange Streifen (Butt-Straps) aus thermoplastischem CFK lagenweise und bündig neben- als auch übereinander abzulegen auf die exakt aufeinanderstoßenden, zur Flugzeugaußenseite hin mit einer Stufenschäftung versehenen Längsränder der Schalen. Alle Lösungen zum Zuführen, Positionieren und Kantenversiegeln der Straps erarbeitete die Fraunhofer-Gesellschaft im „LPA“-Projekt „Butt strap integration technology development with tooling design, validation, implementation in major component assembly and operation“ („BUSTI“). Im Ergebnis wurden die von Fraunhofer gefertigten Straps mit einem in die automatisierte Prozessumgebung integrierten Strap-Handling-Werkzeug durch eine Abrollbewegung exakt auf der Naht positioniert, sodass der über Spiegel gelenkte, oszillierende Laserstrahl des unmittelbar folgenden Schweißkopfs kontinuierlich die sich ausbildenden Kontaktlinien von Strap zur Schalenoberfläche aufschmelzen konnte. Eine Druckeinheit am Laserschweiß-Endeffektor presste dabei den Strap mit Fügekräften bis zu einer Tonne gegen die oberen und unteren Schalenfügestellen und konsolidierte so die Schweißnaht im selben Arbeitsgang. Damit die hohen Andruckkräfte beim Schweißen nicht zu einer Beschädigung der Rumpfstruktur führten, lief innerhalb der entstehenden Rumpfsektion synchron eine Vorrichtung zur Kraftaufnahme und -ableitung mit.
Der Laserschweißprozess zeichnet sich durch die Implementierung eines Online-Monitor- und Kontroll-Systems aus, welches einen unmittelbaren digitalen Datenaustausch für die Prozessoptimierung und Qualitätssicherung mit einem Digitalen Zwilling ermöglicht.

Automatisiertes Spaltfüllen
Weil die Straps und die stufenförmig gestalteten Fügezonen der Schalen aufgrund unvermeidlicher Herstellungstoleranzen und für die Positionierprozesse benötigter Freiheitsgrade nicht lückenlos aneinander anschließen konnten, blieben zwischen ihnen kleine, unregelmäßig breite Spalte („Gaps“). Diese würden die Qualität der Schweißverbindungen beeinträchtigen und waren deshalb nach dem Schweißprozess vollständig mit einem sogenannten Thermoplastfüller zu schließen, wobei ein Materialüberschuss unbedingt zu vermeiden war.

Ein kompakter Extruder, der – wie der Laserschweiß-Endeffektor – entlang der zuvor erzeugten Verbindungsnähte geführt wurde, erwärmte das Ausgangsgranulat und förderte es über eine Schnecke zum Spalt. Dort sorgte eine spezielle Düse dafür, dass das Material den Spalt füllte, bevor es an der Luft aushärtete. Das für die genaue Füllmenge ausschlaggebende lokale Spaltvolumen wurde unmittelbar vorher von einem in denselben Gap-Filling-Endeffektor integrierten, auf den offenen Spalt gerichteten 2D-Sensor gemessen und an das Extrudersystem übertragen. Damit ließ sich die lokal benötigte Austragleistung während des laufenden Prozesses dynamisch berechnen, sodass unregelmäßige Spalte von 3 bis 20 Millimeter Breite an jeder Stelle mit der exakt erforderlichen geschmolzenen Thermoplastmaterial-Menge gefüllt wurden.

Ultraschallschweißen
Um aus den Forschungsarbeiten möglichst viele für einen späteren Produktionseinsatz wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, wurde als Fügemethode für die rechte Längsnaht das automatisierte Ultraschallschweißen ausgewählt. Im Vergleich zum Laserschweißen können damit nur die dünnwandigeren Rumpfnahtabschnitte außerhalb der Türumgebungen verbunden werden, allerdings ist der Aufwand hinsichtlich Synchronisation parallellaufender Prozesse, Investitionen und Arbeitssicherheit geringer. Aus der Zusammenarbeit der für die Forschungsplattform zuständigen Fraunhofer-Gesellschaft mit dem „LPA“-Projekt „Welding Equipment for optimized, fast and accurate LongituDinal barrEl joint closuRe“ („WELDER“) der Partner CT Engineering Group, AIMEN, AITIIP und Dukane ist ein schneller und verlässlicher, automatisierter Ultrasschall-Schweißprozess für die Längsnaht hervorgegangen.

Wie auch der oben vorgestellte Laserschweißprozess zeichnet er sich durch die Implementierung eines Online-Monitor- und Kontroll-Systems aus, welches einen unmittelbaren digitalen Datenaustausch für die Prozessoptimierung und Qualitätssicherung mit einem Digitalen Zwilling ermöglicht.

Weitere FuE-Arbeiten und erfolgreicher Projektabschluss
Die Arbeiten und Nachweise zum CO₂-Laserstrahlschweißen der Straps inklusive des Spaltfüllens sowie das darauffolgende Koppeln der Spante zwischen Ober- und Unterschale durch Widerstandsschweißen im März 2024 durch die Projektpartner des „LPA“-Projekts „WELDER“ bildeten den Abschluss der Forschungsarbeiten am „MFFD“ im Stader Forschungszentrum CFK NORD. Beim Clean Sky 2-Abschlusstreffen am 14. März 2024 in Brüssel konnte den unabhängigen Gutachtern, dem Joint Undertaking und allen am Demonstrator mitwirkenden Partnern der erfolgreiche und rechtzeitige Abschluss der drei Projekte vorgestellt werden, an denen die Fraunhofer-Gesellschaft im Rahmen von Clean Sky 2 „LPA“ beteiligt war.

Nach der bereits Anfang 2021 ebenso erfolgreich realisierten Forschungsplattform im 1:1-Maßstab zur automatisierten Kabinenmontage im „LPA“-Projekt „Automated Cabin & Cargo Lining and Hatrack Installation Method“ („ACCLAIM“) ist der „MFFD“ bereits der zweite Clean Sky 2-Großdemonstrator mit maßgeblichen Beiträgen der Fraunhofer-Gesellschaft.

Finalisiert wird die bereits ausgekrante thermoplastische Rumpfsektion u.a. mit der Einrüstung eines Kabinendeckenmoduls am Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg, wo sie danach für weitere Tests und für Demonstrationszwecke genutzt wird.

Ausblick
Zusammen mit den am Rumpfdemonstrator »MFFD« gewonnenen Erkenntnissen wird die Fraunhofer-Gesellschaft reife Technologiebausteine einer Industrialisierung durch interessierte Unternehmen zugänglich machen. Andere Technologien bringt sie in nachfolgende Forschungsprojekte ein, um eine noch weitergehende Effizienzsteigerung bei noch geringerem Ressourcenverbrauch in der zukünftigen Produktion zu ermöglichen. Zielstrukturen sind dabei neben Flugzeugrümpfen auch Seitenleitwerke oder Tanksysteme für kryogenen Wasserstoff. Außerhalb der Luftfahrtbranche stehen zudem boden- oder wassergebundene Transportmittel im Fokus eines Technologietransfers.

Fördermittelgeber
Die beschriebenen Ergebnisse wurden von Fraunhofer in Kooperation mit allen genannten Projektpartnern erarbeitet. Fraunhofer bedankt sich im Namen der Projektpartner bei der Europäischen Kommission für die Förderung.

Messe ILA 2024 in Berlin

Am „MFFD“ beteiligte Projektpartner:
Acroflight Ltd
Witham, UK
Aernnova Aerospace S.A.
Vitoria, Spanien
Aeromechs srl
Aversa, Italien
AIMEN – Asociación de Investigación Metalúrgica del
Noroeste
O Porriño, Spanien
Airbus
Aitiip Centro Tecnológico,
Zaragoza, Spanien
ALPEX Technologies GmbH,
Mils, Österreich
BCC – Brunel Composites Centre
University London, UK
CETMA – Centro di Ricerche Europeo di Technologie,
Design e Materiali,
Brindisi, Italien
CT Engineering Group – Ct Ingenieros Aeronauticos
de Automocion e Industriales Slu
Madrid, Spanien
CTI Systems
Lentzweiler, Luxembourg
Diehl Aviation Laupheim GmbH
Laupheim, Deutschland
Diehl Comfort Modules GmbH
Hamburg, Deutschland
DLR – Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt
ZLP Augsburg, Deutschland
DLR – Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt,
ZLP Stade, Deutschland
Element Materials Technology
Sevilla, Spanien
FADA – Andalusian Foundation for Aerospace
Development/CATEC – Center for Advanced Aerospace
Technologies
Sevilla, Spanien
FFT Produktionssysteme GmbH & Co. KG
Fulda, Deutschland
Fraunhofer-Gesellschaft, Fraunhofer-Institut für Chemische
Technologie ICT Pfinztal, Deutschland
Fraunhofer-Gesellschaft, Fraunhofer-Institut für
Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM
Stade, Deutschland
Fraunhofer-Gesellschaft, Fraunhofer-Institut für Gießerei-,
Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV
Augsburg, Deutschland
Fraunhofer-Gesellschaft, Fraunhofer-Institut für Werkstoff-
und Strahltechnik IWS
Dresden, Deutschland
GKN Aerospace, Fokker Aerostructures BV
Papendrecht, Niederlande
GKN Aerospace, Fokker ELMO BV
Hoogerheide, Niederlande
HSLU – Hochschule Luzern
Luzern, Schweiz
KVE Composites Group
The Hague, Niederlande
LSBU – London South Bank University
London, UK
NLR – Royal Netherlands Aerospace Centre
Marknesse, Niederlande
Ostseestaal GmbH & Co KG
Stralsund, Deutschland
Premium AEROTEC
Augsburg, Deutschland
Rescoll
Pessac Cedex, Frankreich
SAAB AB
Stockholm, Schweden
SAM XL
Delft, Niederlande
Techni-Modul Engineering
Coudes, Frankreich
Technische Universität München
Lehrstuhl für Carbon Composites
München, Deutschland
Technische Universiteit Delft
Delft, Niederlande
TWI – The Welding Institute
Cambridge, UK
UPAT – University of Patras
Patras, Griechenland
XELIS GmbH
Herford, Deutschland

Weitere Informationen:

Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM
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