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Mittwoch, 6. März 2013

Portugals Weg aus der Krise

Reindustrialisierung und Tourismus
von Kai Lewendoski
INTERVIEW
Lissabon/gc. Das PortugalForum sprach mit Hans-Joachim Böhmer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer in Lissabon, über die Wirtschaftskrise, ihre Auswirkungen in Portugal und die Aussichten des Landes. Der German Circle veröffentlicht an dieser Stelle einen Auszug aus diesem Interview. Das vollständige Interview lesen Sie hier!


Sie vertreten deutsche Firmen in Portugal. Könnten Sie einige Beispiele nennen?
Böhmer: Etwa 300 mittlere und größere deutsche Unternehmen haben einen Standort in Portugal – die meisten davon sind Produktionsstandorte. Die meisten sind auch Mitglied der Kammer. Dazu kommt noch eine nicht genaue Anzahl von kleineren Unternehmen, die in den verschiedensten Branchen tätig sind. Die größten deutschen Unternehmen im Lande sind allgemein bekannt: Volkswagen, Bosch, Siemens, Continental und andere. Aber es sind auch die vielen mittleren und auch kleineren Unternehmen des Mittelstands, die die deutsche Wirtschaft in Portugal ausmachen, alle bekannten Namen wie Leica, Falke, Mahle oder Stihl gehören dazu. Genauso wie eher nur in Fachkreisen renommierte Namen, wie Groz-Beckert, Kirchhoff, HUF, Fuchs Schmierstoffe oder Schmitt und Sohn.

Ist es leichter, in Portugal oder in Deutschland eine Firma zu gründen?
Böhmer: Eine Firmengründung in Portugal ist denkbar einfach und schnell – das Programm „empresa na hora“ hat bewirkt, dass man eine Firma in Portugal in weniger als einer Stunde gründen kann, zu genau überschaubaren Kosten. Je nach Firmenzweck und Tätigkeit benötigt man aber Genehmigungen oder Lizenzen. Diese zu bekommen, kann teilweise sehr aufwändig sein und lange dauern. Insofern ist es immer wichtig, sich vorher genau zu erkundigen, was für den beabsichtigen Unternehmenszweck notwendig ist, wie es erreicht werden kann und wie lange es dauert beziehungsweise was es kostet. Daher gibt es keine allgemeingültige Antwort, ob es in Deutschland oder Portugal leichter ist.

Portugal steckt in der tiefsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Macht Ihr Job noch Spaß?
Böhmer: Ja, Portugal ist in einer tiefen Krise und die Menschen hier leiden sehr darunter. Das belastet natürlich. Dennoch gibt es gerade in dieser Zeit besondere Chancen und Herausforderungen in den bilateralen Beziehungen Portugal - Deutschland. Deutschland ist der wichtigste Industrie-Investor in Portugal. Eine Ausweitung der deutschen Investitionen ist sowohl ein starker Wunsch der portugiesischen Regierung wie auch der Wirtschaft. Deutschland ist aber auch ein wichtiger Markt für Portugals Industrie-Exporte. Eine Ausweitung der Exporte nach Deutschland ist wiederum sowohl ein starker Wunsch der portugiesischen Regierung wie auch der Wirtschaft. Beides würde bestimmt zum wirtschaftlichen Wachstum Portugals beitragen. Und in beiden Fällen kann auch die deutsche Wirtschaft davon profitieren. Das alleine sind zwei Handlungsfelder, die in der jetzigen Zeit besondere Herausforderungen für die Kammer und meine Tätigkeit bedeuten und daher diesen Job gerade jetzt sehr interessant machen. Es gibt noch andere solche Handlungsfelder, die Berufsbildung zum Beispiel, die besonders jetzt verstärktes Interesse in Portugal findet, nämlich als ein Instrument, die portugiesische Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Es gibt viel zu tun …

Das Investitionsklima wird offiziell als schlecht bezeichnet. Wie macht sich das bei der Tätigkeit der Kammer bemerkbar?
Böhmer: Sicher lässt sich am Investitionsklima vieles verbessern, und das muss auch wirklich gemacht werden. Aber es ist auch eine Realität, dass es dem überwiegenden Teil der deutschen Unternehmen im Lande, ganz besonders den exportorientierten Produktionsunternehmen, gut geht. Mit anderen Worten: Es gibt auch bei dem gegenwärtigen Investitionsklima in Portugal sehr erfolgreiche Unternehmen – neben den vielen deutschen auch weitere, auch viele portugiesische oder aus anderen Ländern.

Die portugiesische Regierung versucht, eine teilweise Reindustrialisierung zu erreichen. Wie bewerten Sie die Chancen?
Böhmer: Die Reindustrialisierung ist eines der wichtigen Ziele der Regierung für die portugiesische Wirtschaft. Hierfür sind die Sektoren zu analysieren die besonders wettbewerbsfähig sind - europa- oder weltweit. Berücksichtigt werden sollen dabei auch die Sektoren in denen Portugal sich schon bewiesen und Stärken vorzuweisen hat. Stärken hat die portugiesische Wirtschaft etwa im Bereich Metall- und Kunststoffverarbeitung, auch bei komplexen Produkten und Lösungen. Die Zulieferer sind auch zu Lieferpartnerschaften und Erarbeitung von kundenspezifischen Lösungen fähig – wie wir aus mancher Erfahrung wissen. Und gerade im Automobilzulieferbereich, aber auch für den Maschinenbau und die Elektroindustrie gibt es interessante Firmen. Die traditionelle Textilindustrie – insbesondere die Bekleidungsindustrie - hat tatsächlich deutlich an Bedeutung verloren, bietet aber auch neue Chancen im Bereich technischer Textilien. Aufgrund der Lage im äußersten Südwesten Europas sind besonders Produkte von Bedeutung, die einen geringen Transportkostenanteil haben. Ich meine dabei auch besonders immaterielle Produkte und Leistungen wie Software, Ingenieursleistungen oder Vergleichbares, deren Transport praktisch keine Zeitverluste und Kosten verursacht. Also muss man den Begriff Industrialisierung nicht nur im engeren Sinne der Produktion physischer Güter verstehen.

Welche Rolle kann der Tourismus spielen?
Böhmer: Auch der Tourismus bietet Chancen: Das Land ist schön, abwechslungsreich und sehr interessant. Hier ist neben dem Auf- und Ausbau eines entsprechenden, attraktiven Angebots vor allem an der Bekanntheit und einer Marke Destination Portugal zu arbeiten. Es gibt viele Beispiele, wie das erreicht werden kann. Portugal ist einfach zu wenig bekannt. Insbesondere die Vielfalt des touristischen Angebots ist zu wenig bekannt. Das Land hat deutlich mehr als Strände, Madeira oder die großen Städte Lissabon und Porto zu bieten.

Sehen Sie Lichtblicke oder ein Ende der Krise?
Böhmer: Lichtblicke sind eindeutig zu sehen. Das Staatsdefizit geht zurück. Portugal hat kürzlich erfolgreich Anleihen platziert, was als Zeichen für wiedergewonnenes Vertrauen der Finanzmärkte angesehen werden kann. Die Handelsbilanz – über lange Zeiten stark negativ – ist fast wieder ausgeglichen. Die Lohnstückkosten, ein wichtiger Wert für Investitionsentscheidungen, gehen zurück und erhöhen damit die Attraktivität des Standortes Portugal. Und es gibt noch viele weitere Anzeichen, wenn man genau hinsieht. Dennoch muss man auch sagen, dass die Krise noch nicht ausgestanden ist und dass noch eine ganze Reihe Strukturreformen notwendig sind, um das Land wieder in bessere Zeiten zu führen. Die Richtung ist bereits eingeschlagen, der Weg aber noch nicht zu Ende.

Bildunterschrift:
Hans-Joachim Böhmer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer in Lissabon. Foto: AHK Lissabon

Informationen:
Deutsch-Portugiesische
Industrie- und Handelskammer
Avenida da Liberdade 38 – 2º 
1269-039 Lissabon
Portugal 
Tel.: 00351 21 3211 200
Fax.: 00351 21 3467 150
infolisboa@ccila-portugal.com

Kontakt:
Kai Lewendoski
kailew(at)westalgarve.de
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