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Mittwoch, 8. August 2018

Konsequent verfolgen

Gewalt und Drohungen gegen Journalisten in Kolumbien
Redaktion: Reporter ohne Grenzen
PRESSEMITTEILUNG
Berlin/gc. Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die jüngsten Journalistenmorde und Morddrohungen gegen Journalisten in Kolumbien und fordert die Regierung des am Dienstag, 7. August 2018, ins Amt eingeführten Präsidenten Ivan Duque auf, konsequent gegen die Täter vorzugehen. Vergangene Woche wurden in der Region Valle del Cauca innerhalb von 24 Stunden zwei Lokaljournalisten erschossen, seit Mitte Juli 2018 wurden mehr als ein Dutzend prominente Journalisten mit dem Tode bedroht. Paramilitärische Gruppen haben in vielen Teilen des Landes in den Monaten vor Duques Amtsantritt Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschaftsführer und Journalisten bedroht und getötet.


„Gerade in der aufgeheizten politischen Situation müssen Journalisten geschützt werden, denn nur unabhängige Berichterstattung ermöglicht eine demokratische Auseinandersetzung“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Der neue Präsident muss den Schutz von Journalisten und freier Berichterstattung zu einer Priorität seiner Amtszeit machen. Journalistenmorde und Morddrohungen über das Internet müssen konsequent verfolgt werden. Dafür sollte Kolumbien dringend die nationale Schutzstelle für Journalisten besser ausstatten und eine Ermittlungseinheit gegen Online-Hetze schaffen. “

Die beiden Morde in der vergangenen Woche ereigneten sich innerhalb von 24 Stunden in der Region Valle del Cauca. Am Abend des 1. August wurde Valentin Tezada Rua, Moderator des freien Radiosenders Salvajina Estereo, in Suarez von einer Kugel in den Kopf getroffen, nachdem er einen verdächtigen Anruf erhalten hatte. (http://ogy.de/qgwj) Der Journalist und Herausgeber der Zeitung Contacto, Jairo Alberto Calderon Plazas, wurde am folgenden Tag in Tulua von einem Mann auf einem Motorrad mit mehreren Kugeln niedergeschossen, über vorherige Bedrohungen ist nichts bekannt. Er hatte sich allerdings kurz vor seinem Tod mit einem Unbekannten getroffen. Bei beiden Morden ist das Motiv unklar. (http://ogy.de/7iao)

Die beiden Taten sind die ersten Journalistenmorde in Kolumbien in diesem Jahr. Lange war Kolumbien eins der gefährlichsten Länder der Welt für Journalisten, in den vergangenen Jahren sank die Zahl der Journalistenmorde aber. Zwischen 2000 und 2015 wurden 58 Journalisten aufgrund ihrer Arbeit getötet, danach gab es bis zu den aktuellen Fällen nur einen Mord im Jahr 2017.

BERICHTERSTATTUNG VOR ALLEM
IN LÄNDLICHEN GEBIETEN GEFÄHRLICH
Ende März dieses Jahres hatte jedoch eine abtrünnige FARC-Untergruppe einige Kilometer hinter der Grenze zu Ecuador den ecuadorianischen Reporter Javier Ortega, den Fotografen Paul Rivas und ihren Fahrer Efrain Segarra entführt und kurze Zeit später ermordet. Die Zeitungsjournalisten hatten über die andauernden Zusammenstöße zwischen ecuadorianischen Regierungstruppen und bewaffneten Gruppen in der Region berichten wollen. (http://ogy.de/nc0x) Die Grenzregion zwischen Kolumbien und Ecuador war über Jahre für Reporter de facto nicht zugänglich und somit ein weißer Fleck in der Berichterstattung.

Im dritten Jahr nach dem Friedensabkommen der Regierung mit der linken FARC-Guerrilla sind die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Hauptstadt Bogota grundsätzlich gut. Doch in den ländlichen, über Jahrzehnte umkämpften Regionen des Landes ist kritische Berichterstattung noch immer schwierig und gefährlich. Verschiedene bewaffnete Gruppen versuchen, Journalisten zum Schweigen zu bringen, die über ihre Aktivitäten berichten. Gefahr droht nicht nur von verschiedenen Abspaltungen der FARC, sondern auch von den paramilitärischen Vereinigten Bürgerwehren AUC, der Nationalen Befreiungsarmee ELN, den Drogenkartellen und einer Vielzahl lokaler Mafiagruppen.

Betroffen waren bisher vor allem alternative und zivilgesellschaftliche Medien. Besonders in Teilen von Catatumbo, Arauca, Putumayo, Caqueta und Valle del Cauca werden Journalisten eingeschüchtert, was zu Selbstzensur bei Themen wie organisierter Kriminalität, Drogenhandel und rivalisierenden Gebietsansprüchen führt.

ERSTMALS PROMINENTE JOURNALISTEN IM VISIER
In den vergangenen Wochen war erstmals auch eine Vielzahl prominenter Medienvertreter in den Großstädten von den Einschüchterungen betroffen. Am 14. Juli 2018 wurden die Redakteurin Jineth Bedoya von der Tageszeitung El Tiempo sowie das Portal La Silla Vacia in einem Pamphlet, das der ultrarechten Gruppe Aguilas Negras zugeschrieben wird, als „unmittelbare militärische Ziele“ bezeichnet, mit dem Zusatz: „Dieses Mal meinen wir es ernst.“ (http://ogy.de/awe9)

Einen Tag später erhielt die Kolumnistin der Zeitschrift Semana, Maria Jimena Duzan, drastische Gewaltandrohungen über Twitter. Duzan hatte über einen Ex-General und Anhänger von Ex-Präsident Alvaro Uribe berichtet, der mehrfach gedroht hatte: „Bereitet euch vor, denn der Krieg kehrt zurück!“ (http://ogy.de/4pgk) Die Moderatorin Vanessa de la Torre von Noticias Caracol und Blu Radio wurde ebenfalls über Twitter mit dem Tode bedroht, nachdem sie kritische Artikel über Uribe verfasst hatte (http://ogy.de/2euj). Uribe und seine Anhänger lehnen das Abkommen seines Nachfolgers, des gerade aus dem Amt geschiedenen Juan Manuel Santos, mit der FARC ab.

Ebenfalls Mitte Juli gingen beim Radiosender RCN Drohanrufe gegen mindestens fünf Mitarbeiter ein. Ein angeblicher Vertreter der Nationalen Befreiungsarmee ELN sagte, sie hätten 72 Stunden, um ihre Berichterstattung über „die Organisationen“ einzustellen. (http://ogy.de/9yc7) Der Sender hatte über Morde an Gewerkschaftsführern berichtet. (http://ogy.de/ku2r)

Mindestens 12 weitere Journalisten wurden seit Anfang Juli 2018 ebenfalls eingeschüchtert und bedroht. (http://ogy.de/ycc8)

DIE MEISTEN GEWALTDELIKTE
BLEIBEN UNGESTRAFT
Auch Polizeigewalt ist weiterhin ein großes Problem für die Journalisten im Land. Die Radiojournalistin Efigenia Vasquez Astudillo wollte im Oktober 2017 darüber berichten, wie die Bereitschaftspolizei ESMAD ein von der indigenen Bevölkerung besetztes Stück Land in der Ortschaft Purace in Südwestkolumbien räumte. Die Reporterin wurde dabei angeschossen und starb kurz darauf. Am selben Tag feuerten Polizeikräfte im ländlichen Tumaco Gummigeschosse und Tränengas auf eine Delegation von Repräsentanten von Vereinten Nationen und Organisation Amerikanischer Staaten, Vertretern von Menschenrechtsgruppen, Politikern und Journalisten, die dem Tod von sechs Landarbeitern nach Zusammenstößen mit der Polizei nachgehen wollten. (http://ogy.de/s2b0)

Nur wenige Gewaltdelikte gegen Journalisten werden in Kolumbien aufgeklärt und die Täter bestraft. Ein besonders drastischer Fall ist der des Radioreporters Nelson Carvajal Carvajal, der im April 1998 während einer Korruptionsrecherche getötet wurde. Nach 20-jährigen Ermittlungen voller Verzögerungen und Unregelmäßigkeiten wurde noch immer niemand zur Rechenschaft gezogen. Am 6. Juni 2018 verurteilte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte das Versagen der kolumbianischen Regierung in dem Fall. (http://ogy.de/sxjx)

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 130 von 180 Staaten. Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Kolumbien finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien.

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