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Sonntag, 14. Februar 2021

34 Mio. Puten 2019 in Deutschland geschlachtet, grausame Zustände beklagt

Ministerium, Landkreis, Erzeuger bilden gemeinsame Front
von Heiko Wruck
BERICHT

Goldberg/gc.
Animal Rights Watch (ARIWA) veröffentlichte am 2. Februar 201 grausames Videomaterial aus zwei Mastanlagen von Thomas Storck. Der ist nach ARIWA-Angaben Europas größter „Putenerzeuger“ und Deutschlands einflussreichster „Geflügel“-Lobbyist.

Die Bilder aus zwei Standorten der Gut Jäglitz GmbH in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zeigen Puten, die totgeknüppelt oder mit einem Bolzenschneider getötet werden; Puten, die langsam und qualvoll sterben; Puten, die wie Fußbälle zum Schlachttransport getreten werden und denen Arbeiter zum Spaß die Schwanzfedern ausreißen. Zustände wie diese seien keine Ausnahmen, beklagt Animal Rights Watch (ARIWA).

In Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsministerium will man von solchen Zuständen in Goldberg nichts gewusst haben. Betriebskontrollen seien Sache des Landkreises. „Das Ministerium führt Fachaufsichtskontrollen durch.“ Seine Aufsichts-/Kontrollpflichten habe das Ministerium jedoch nicht verletzt. „Das Tierwohl spielt eine große Rolle in der praktischen Arbeit des Ministeriums“, heißt es auf Anfrage aus dem Landwirtschaftministerium. „Der Bestand wird regelmäßig (mehrmals pro Jahr) durch Amtstierärzte des Landkreises Ludwigslust-Parchim kontrolliert“, so die Stellungnahme der Landkreisverwaltung Ludwigslust-Parchim.

Die Goldberger Anlage wurde vom Veterinäramt zuletzt am 30. Dezember 2020, am 19. Januar 2021 und am 3. Februar 2021 kontrolliert – ohne Missstände festgestellt zu haben. Die von ARIWA veröffentlichen Fälle in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern seien „handwerklich unsauber vermischt. Die beiden Fälle sind unterschiedlich gelagert. Zum Beispiel wurde ‚Totknüppeln‘ und anderes Töten in MV nicht dokumentiert“, teilt die Landkreisverwaltung mit und verweist auf den NDR-Beitrag „Tierquälerei in Putenmastanlage bei Goldberg?“.

Bei Tierhaltungen dieser Art und Größe erfolgt die Kontrolle der Tiere im Stall (Herdengesundheit, Stichprobe Einzeltiere, Tierschutzaspekte etc.), Kontrolle des Stallbuchs (Zunahmen, Futter-, Wasserverbrauch, Krankheiten, Impfungen, Behandlungen, Wartezeiten, Eintragungen des behandelnden Tierarztes etc.). Das passiert mehrmals pro Jahr, vor allem im Rahmen von Ausstallungen zur Schlachtung. Missstände werden ordnungsrechtlich geahndet: mittels Anordnungen, Verwarnungen, Ordnungswidrigkeitsverfahren, Strafverfahren, Tierhaltungsverbote et cetera. Auch der Landkreis habe nach eigener Maßgabe seine Aufsichts-/Kontrollpflichten nicht verletzt und betont: „Der Tierschutz spielt insgesamt eine große Rolle in der Arbeit des Fachdienstes Veterinär- und Lebensmittelüberwachung des Landkreises Ludwigslust-Parchim, sowohl in der Nutztierhaltung (inklusive Transport und Schlachtung) als auch in der Hobbyhaltung.“

In einer Stellungnahme der betroffenen Gut Jäglitz GmbH & Co. Agrar KG heißt es zu den veröffentlichten ARIWA-Dokumenten: „In diesem Artikel werden zusammengeschnittene Videoaufnahmen verlinkt,  ... Zu sehen sind in einzelnen, teils mehrfach in den Videoclip einkopierten Sequenzen aber auch einzelne verletzte Tiere und ein Mitarbeiter, der mit einer Stange auf einzelne offenbar verletzte Tiere einschlägt, um diese notzutöten. ... Der Mitarbeiter, von dessen groben Fehlverhalten wir erst mit diesen Videoaufnahmen Kenntnis erlangt haben, ist ... von uns verwarnt und freigesetzt worden, ...“

ARIWA will all das als Entkräftung nicht gelten lassen. „... von „drei oder vier verletzen Tieren in einer Stallung mit mehreren Tausend gesunden und vitalen Tieren“ könne keine Rede sein. Die Realität sei eine komplett andere: zahlreiche Tiere mit Gelenk- und Fußballenentzündungen, entzündlichen Brustblasen sowie blutig gepickten Wunden und kahlen Stellen als Folge von Kannibalismus und Federpicken.  „Die vollen Kadavertonnen zeugen davon, dass auch in der Gut Jäglitz GmbH & Co. KG täglich Tiere sterben oder getötet werden. ... diese Puten fallen nicht von einem Tag auf den anderen tot um. Sie leiden über einen langen Zeitraum unbehandelt und unbeachtet zwischen ihren Artgenossen, bis sie sterben oder getötet werden ... Diese Tiere sind von vornherein als Verluste einkalkuliert. Sie werden nicht behandelt, denn das wäre schlicht zu teuer. Dass auch dies bei Gut Jäglitz so ist, davon zeugen die leeren Krankenbuchten. Dieses Vorgehen verstößt gegen geltendes Recht. Trotzdem wird es von keinem Veterinäramt geahndet, weil es schlicht in jeder Putenmast Alltag ist. ... Das gezeigte Leid findet millionenfach jeden Tag statt“, plädiert ARIWA.

Fazit: Die gemeinnützige Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (ARIWA) beklagt grausame Zustände in einem industriellen Tierhaltungsbetrieb. Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsministerium weiß von nichts und fühlt sich auch nicht zuständig. Der für die Kontrollen des Tierwohls zuständige Landkreis Ludwigslust-Parchim hat in dem betroffenen Goldberger Betrieb noch nie Missstände festgestellt oder geahndet. Bei beiden Institutionen spielt  das Tierwohl eine große Rolle in der praktischen Arbeit. Die von den ARIWA-Vorwürfen betroffene Gut Jäglitz GmbH & Co. Agrar KG deklariert Einzelfälle – sowohl bei den verletzten und getöteten Tieren als auch beim Fehlverhalten von eigenen und fremden Mitarbeitern. Und der Firmenchef Thomas Storck weiß von diesen Zuständen in seinen Betrieben nichts.

Bildunterschrift:
Angeblich nur ein Einzeltäter – Fußtritte fürs Schlachtgeflügel: „Diese Aufnahmen zeigen kein individuelles Fehlverhalten, sondern das Prinzip, nach dem diese gewalttätige Branche funktioniert“, sagt Sandra Franz, Pressesprecherin von ARIWA. Foto: Animal Rights Watch

Kontakt:
Heiko Wruck@t-online.de
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